Schlagzeilen aus Nieder-Liebersbach (1839 – 1908)

Unsere Vorfahren lasen auch Zeitungen und je nach Gemütszustand regte man sich auf oder schmunzelte über eine Begebenheit oder nahm sie ganz einfach zur Kenntnis. Die Berichterstattung war zumindest im 19. Jahrhundert eher unkritisch und ganz der Obrigkeit verpflichtet. Zeitungen hatten mehr den Charakter eines Bekanntmachungsblattes. Von 1835 – 1873 war in unserem Gebiet das „Wochenblatt“ oder das „Lindenfelser Intelligenzblatt“ (zu dieser Zeit gab es einen Kreis Lindenfels, zu dem auch Nieder-Liebersbach gehörte) und danach das „Anzeige- und Verordnungsblatt des Kreises Heppenheim“ maßgeblich.

Zeitungen aus dieser Zeit sind Raritäten, da diese nach der Lektüre meist einer ganz profanen Zweitverwendung auf einem stillen Örtchen zugeführt wurden. Entsprechend wirtschaftlich ging man in Nieder-Liebersbach mit den gelesenen Zeitungen um. Katharina Emig erwarb beispielsweise 1868 von der Bürgermeisterei „eine Partie alte abgängige Zeitungen“, für die sie ein paar Kreuzer in die Gemeindekasse zahlte. In Birkenau dagegen hob man die für uns wichtigen Informationsquellen auf, so dass wir heute neugierig nachblättern können, was im vorletzten und letzten Jahrhundert aktuell war.

Nachfolgend werden Meldungen oder Zeitungsberichte in gebotener Kürze wiedergegeben, die einen guten Eindruck davon vermitteln, was unsere Vorfahren beschäftigte. Dabei wurde darauf geachtet, nach Möglichkeit Wiederholungen zu vermeiden. Meist waren es jedoch Meldungen oder Mitteilungen, die in irgendeiner Art und Weise das dörfliche Leben betrafen und wissbegierig zur Kenntnis genommen und auch gerne weiter erzählt wurden. Die damals gebräuchliche Schreibweise wurde beibehalten.

1839    Feuer-Leitern und Feuer-Eimer-Lieferung. Mittwoch, den 27. d. M., Mittags 1 Uhr, wird die Anlieferung zweier neuer Feuer-Leitern und circa 25 Stück lederne Feuer-Eimer für die Gemeinde Nieder-Liebersbach, in dem Bureau des Unterzeichneten an den Wenigstverlangenden öffentlich versteigert.

Nieder-Liebersbach, den 15. Februar 1839. Der Bürgermeister, Kadel

1840    Militär-Maß-Lieferung. Mittwoch, den 30 l. M., Vormittags 10 Uhr wird die Anlieferung eines hölzernen Militär-Maßes auf dem Bürgermeistereibureau dahier, daselbst wenigstnehmend versteigert.

Nieder-Liebersbach, den 15 December 1840. Der Bürgermeister, Kadel

1845    Industrieschule. Nieder-Liebersbach, am 20. Juli 1845. Es ist gewiss eine höchst erfreuliche Erscheinung, daß bei dem fortwährenden steigenden Interesse des Publikums an intellectueller fortwährend steigenden Interesse sowohl als materieller Heranbildung der Jugend auch das herrliche Streben immer mehr hervortritt, durch Darbringung von anerkennenswerthen Opfern – zur Unterstützung jener Heranbildung – für das Gemeinwohl und die Zukunft segensreich zu wirken.

In der hiesigen Gemeinde bestand seither noch keine Industrieschule, und obschon das Bedürfnis einer solchen wohlthätigen Anstalt immer fühlbarer wurde, konnte demselben bei den geringen Gemeindemitteln nicht wohl abgeholfen werden.

Dies gab dem durch seine Menschenfreundlichkeit bei so Manchem in dankbarer Erinnerung lebenden Herrn Postexpeditor Schatzmann in Heppenheim Veranlassung, seinen so oft bewiesenen Wohlthätigkeitssinn auf’s neue zu bethätigen. Ihm verdankt nämlich die nunmehr in’s Leben getretene Industrieschule dahier ihre Entstehung, indem er nicht nur die Vorsteherin jener Anstalt besoldet, sondern auch Arbeitsmaterialien für arme Kinder anschafft, damit auch sie die Vortheile der schönen Stiftung genießen können.

Ich erlaube mir hiermit in Namen der hiesigen Gemeinde, den innigsten Dank derselben gegen ihren Wohlthäter Herrn Schatzmann öffentlich auszusprechen und den Wunsch damit zu verbinden, daß die Zahl der Menschenfreunde immer größer werden möchte, die der Ueberzeugung eingedenk handeln: „Daß in der Jugend ja unsere Zukunft liegt, und daß, wer ihre Ausbildung befördert, dich das schönste unvergängliche Denkmal setzt, tief eingegraben in die dankbare Brust der Nachwelt nicht zerstörbar in den ärgsten Stürmen der Zeit“.

J. Fritz, Schulvicar

1846    Maulwurfsfang ! Dienstag, den 17. März l. J. Morgens 10 Uhr, wird auf dem Bürgermeistereibureau dahier der Maulwurfsfang in der Gemarkung Nieder-Liebersbach auf 3 Jahre an den Wenigstnehmenden versteigert.

Nieder-Liebersbach am 6. März 1846. Der Bürgermeister; Kadel

1853    Danksagung an den Auswanderungsagenten. Wir Endes-Unterzeichneten sprechen hiermit unserm Agenten, Herrn Zacharias Demuth in Rimbach unsern herzlichsten Dank für unsere gute Beförderung und Behandlung aus. Nicht allein über die vorzügliche Einrichtung des Schiffes, was der Linie zwischen London und New-York zur größten Ehre gereicht, sondern auch über die Menschenfreundlichkeit des Capitäns. Unser Accord wurde mit der geringsten Einzelnheit genau ausgeführt. Unsere bedingten Lebensmittel wurden uns im vollen Maaße und in guter Quantität gereicht. Wir dürfen dreist behaupten, da Herr Demuth nicht allein für alle Bequemlichkeit unserer Reise sorgte und uns sogar für das weitere Fortkommen hier den wohlmeinendsten Rath gab, daß Emigranten bei keiner andern Linie eine so ehrenvolle Beförderung erhalten können. Durch eine von Herrn Demuth an ein hier rühmlichst bekanntes Haus von Herrn Rischmüller erhaltene Recomandation wurden wir von den häufigen Prellereien geschützt, denen andere von anderen Schiffen kommenden Passagiere ausgesetzt waren.

Nochmals also unsern herzlichsten Dank mit der wohlmeinendsten Empfehlung an unsere Landsleute, im Falle einer Auswanderung, stets die Beförderung des Herrn Demuth einer Andern vorzuziehen.

New-York, den 26. November 1853

Georg Franz Maurer, Johann Nikolaus Maurer, Franz Seiler mit Familie, Peter von Stetten, Michael Maurer und Anna Maria Maurer mit Familie, sämtlich von Nieder-Liebersbach.

Philipp Lieberknecht mit Familie von Birkenau

Peter Schmitt und Elisabetha Knapp mit Familie von Ober-Liebersbach.

Anna Maria Milbert von Mörlenbach. Elisabetha Dörr von Rimbach. Georg Vock von Heppenheim. Peter Hofmann und Anna Hofmann von Affolterbach.

1856    Was gibt‘s Neues ?  Darmstadt, 9. October Heinrich Gölz von Nieder-Liebersbach wurde von dem Schwurgerichte, im 3. Rückfalle, wegen durch Einsteigen und Einbruchs ausgezeichneten Diebstahls von verschiedenen Kleidungsstücken aus dem Laden des Kleiderhändlers Jacob Rothschild zu Weinheim und von Frucht aus der Mühle des Müllers Leonhard Kadel zu Nieder-Liebersbach. Ferner im Complott mit Johannes Weber III von Birkenau verübten, durch Einsteigen ausgezeichneten Diebstahls von Frucht aus dem Speicher des Wirths Michael Kadel I zu Birkenau, in eine geschärfte Zuchthausstrafe von 3 Jahren und nach verübter Strafe zur Stellung unter polizeiliche Aufsicht auf 3 Jahre, – und der genannte Johannes Weber III. wegen des angeführten Diebstahls im Complott mit Heinrich Gölz in eine Correctionshaussstrafe von 1 Jahr verurteilt. – Die Anklage eines weiteren einfachen Diebstahls des Heinrich Gölz von Kleesamen seines Dienstherrn, des Wirths Michael Kadel I zu Birkenau, hatten die Geschworenen für nicht erwiesen  erklärt.

1861    Das neue Kirchweihfest zu Nieder-Liebersbach. Wir bringen hiermit zur allgemeinen Kenntnis, daß das Kirchweihfest in diesem Jahr auf den 1. und 2. September abgehalten wird, wozu wir alle Freunde, Bekannte und Unbekannte einladen. Für gute Speisen und Getränke, sowie Belustigung durch Tanz etc. sind besorgt die Wirthe: Adam Falter, Michael Röhm

1865    Lebewohl ! Bei unserer Abreise am 13. d. von hier nach Nord-Amerika wünschen wir allen unseren Freunden und Bekannten ein herzliches Lebewohl.

Nieder-Liebersbach, den 13. Juni 1865. Die Geschwister Johannes Lennert, Katharina Lennert.

1866    Wirthschafts-Eröffnung. Sonntag, den 23. d. M. eröffne ich meine Wirthschaft, wozu ich alle Freunde und Bekannte höflichst einlade.

Nieder-Liebersbach , den 22. December 1866, Adam Lennert, Wirth.

1868    Ein eigentümlicher Handel fand kürzlich zu Nieder-Liebersbach statt. Ein Metzger von Weinheim hatte bei F. Bürner ein Schwein im Handel; der Verkäufer schätzte dem Thiere 110 Pfund und es waren ihm von einem andern Metzger 28 fl geboten. Der Weinheimer Metzger jedoch bot dem F. Bürner eine Wette an, die Letzterer annahm: Wenn das Schwein 97 Pfund wiegt, so erhält der Eigentümer hundert Gulden dafür; wenn es weniger wiegt; so kostet es nichts. Heute wurde es durch einen Dritten geschlachtet, durch einen Experten gewogen und es ergab sich ein Nettogewicht von 96 Pfund. – Der Metzger erhielt das Schwein für nichts und nahm die bei Bürgermeister Emig deponierten hundert Gulden wieder zurück.

1870    Verurtheilungen vor dem Bezirksstrafgericht Darmstadt: Franz Zink und Peter Maurer von Nieder-Liebersbach waren angeklagt, wegen Widersetzung und Körperverletzung, verübt an dem Feldschützen Walter zu Bonsweiher, der in Folge dieser Verletzung 7 Wochen krank und arbeitsunfähig war. Den Franz Zink trifft eine Correctionshausstrafe von drei, den Peter Maurer eine solche von fünf Monaten. Jedem der Beiden wurden 5 Wochen der seitherigen Haft in Anrechnung gebracht.

1870    Unterzeichneter nimmt die dem Gemeinderath Adam Lennert von Nieder-Liebersbach in der Wirthschaft des Johannes Lennert daselbst zugefügte Beleidigung zurück.

Nieder-Liebersbach, den 27. Mai 1879. Johannes Karg

1870    Lindenfels, 31. Oct. Wir erhielten heute aus Frankreich durch die Feldpost der Großh. Hessischen Division einen Brief von einem Kreis-Angehörigen (einem Nieder-Liebersbacher, Musketier in der Leibkompagnie des 4. Inf. Reg.) mit der dringenden Bitte um gefällige Aufnahme des beifolgenden Gedichtes. Indem wir diesem Wunsche hiermit bereitwilligst entsprechen, bemerken wir zugleich, daß die erbetenen Exemplare des Kreisblattes nächsten Freitag mit der Feldpost an den Adressanten nach Frankreich abgesendet werden: Die Redaction

Das Gedicht lautet: (Anmerkung: auszugsweise)

Um Euch Freunden zu erzählen,
Will ich diese Verse wählen,
Denn Ihr wißt es noch wie heute,
Wie damals riefen alle Leute:
„Frankreich rüstet sich zum Streite,
Daß an den Rhein es gierig schreite,
Aber doch sie sollen wissen,
Daß unsere Söhne auf den Füßen
Sind. Niemals scheuen sie den Tod
Wenn je ein Feind das Land bedroht.“

Um elf Uhr sah man da schon blitzen
Chassepots und Kugelspritzen,
Die zu uns herüber krachten; – – –
„Gott helfe wie bei Blüchers Schlachten !“
Dabei die wackren Hessen dachten,
Und des Franzmanns Wuth verlachten;
Mörderisch war das Kriegsgetümmel;
Vom Pulverdampf getrübt der Himmel,
Wie in der Schlacht bei Königsgrätz,
So mörderisch war der Kampf bei Metz

„Es hat des Himmels güt’ges Walten
Die Liebersbacher all erhalten,
Oh, daß er das Glück uns schenket
Und uns in unsere Heimat lenket!“

Bussiere, den 27. October 1870,         Peter Uhl.

1871    Mühlen-Verkauf. Ich beabsichtige, meine dahier gelegene Mühle mit ganz neu eingerichtetem Mühlwerk, samt cica 7 Morgen Güterstücken aus freier Hand zu verkaufen. Nieder-Liebersbach, den 28. December 1871, Leonhard Jöst

1872    Tanzmusik zu Nieder-Liebersbach. Sonntag, den 2. Juni findet bei Unterzeichnetem die Einweihung seines neuen Tanzlocales bei gut besetzter Tanzmusik statt, wozu mit dem Bemerken, daß für gut Speisen und Getränke bestens gesorgt sein wird, höflichst einladet. Nieder-Liebersbach, den 26. Mai 1872

Joh. Falter, Gastwirth zur Krone

1872    Geschäftsanzeige. Hiermit zeige ich an, daß ich das von meinem Ehemannes Johannes Uhl, dahier seither betriebene Geschäft mit irden Geschirr auf meinen Namen übernommen habe und den Handel selbständig für mich fortführe.

Nieder-Liebersbach, den 1. November 1872, Regina Uhl, geborne Bieth

1879    Ein junger Mann, der das Schreinergeschäft lernen will, kann sofort eintreten, bei Schreinermeister Franz Schäfer, in Nieder-Liebersbach.

1889    Die gegen Adam Kadel III. dahier am 27. März d. J. ausgesprochene Verleumdung nehme ich hiermit bereuend zurück.

Nieder-Liebersbach, 3. April 1889, Michael Jeck V.

1891    Nieder-Liebersbach, 28. Sept. Hier ereignete sich heute Nachmittag 3 Uhr ein sehr trauriger Todesfall. Der elfjährige Sohn des Schreiners Franz Stäckler VI, weidete auf dem Felde eine Kuh. Dabei beging der die Unvorsichtigkeit, sich die Leine, die der Kuh um die Hörner gebunden war, an sein Handgelenk. Aus unbekannter Ursache wurde das noch junge Thier scheu, ging durch und schleifte den Knaben etwa eine Viertelstunde Weges weit bis ins mittlere Dorf. Erst hier konnte das Thier eingeholt werden. Der Knabe war ohne Bewusstsein und verschied nach einigen Minuten. Die Mutter war einige Schritte von der Weidestelle entfernt mit Kartoffelausmachen beschäftigt, konnte aber das rasende Thier nicht einholen. Herzzerreißend war das Wiedersehen für die Eltern.

1891    Einige Bienenschwärme und Ableger verkauft Lehrer Wenicker, Nieder-Liebersbach

1891    Nieder-Liebersbach, 15. Juli. Gestern veranstaltete der neu gegründete Männergesangsverein Nieder-Liebersbach sein erstes Concert im Saale des Gasthauses „Zur Krone“. Die gebotene Abendunterhaltung muß in allen Theilen als gelungen bezeichnet werden und sind die sehr zahlreich Erschienen von dem Gebotenen überrascht gewesen. Die unter der umsichtigen, tüchtigen Leitung des Dirigenten, Herrn Wenicker, vorgetragenen Chöre zeugen von guter Schulung und vom Fleiße der Mitglieder des Vereins. Das komische „Einst und Jetzt“, sowie die beiden Humoresken wurden vortrefflich gespielt und erhöhten die Heiterkeit. Möge die Aberkennung, welche die Leistungen des Vereins allerseitig fanden, demselben ein neuer Sporn zu fernemrem freudigen Wirken und Schaffen !

1892    Nieder-Liebersbach, 31 Okt. Hier stehen im Garten des Herrn Bürgermeisters Emig ein Pflaumenbaum und mehrere Erdbeerstöcke in vollem Blüthenschmucke. Wird sich der Winter dadurch aufhalten lassen ?

1892    Die Civilkammer II. Großh. Landgerichts Darmstadt hat in nächster Zeit wieder eine Klage wegen „Verlöbniß-Bruches“ zu entscheiden, in diesem Falle beansprucht ein Nieder-Liebersbacher Einwohner von einem Ober-Laudenbacher Mädchen 1800 Mark nebst Zinsen von Tage der Klage ab. Gewöhnlich geht es so, daß das Mädchen den worthbrüchig gewordenen Schatz verklagt, in diesem Falle ist’s umgekehrt !

1894    Bei Schuhmachermeister Simon Braun in Nieder-Liebersbach kann ein braver Junge bei freier Kost und Wohnung sofort in die Lehre treten.

1894    Zu verkaufen. Eine noch sehr gut erhaltene Häckselmaschine, ein Kleiderschrank, ein vollständiges Bett mit Bettstelle und eine Bettdecke billigst bei Peter Eck Witwe, Nieder-Liebersbach

1898    Nieder-Liebersbach. Am 26. Juni fand hier das Weihefest unseres Männergesangsvereins statt. Der ganze Ort prangte im festlichem Schmuck. Kein Haus fand sich, das nicht zur Ehre des Tages und zur Begrüßung der fremden Gäste sein Möglichstes aufgeboten hatte. Ein Gang durch unser Dörfchen am Samstagabend lohnte sich wirklich der Mühe, und wir hörten manchen Fremden sagen: Wir hätten nicht geglaubt, daß Liebersbach soviel aufbieten könnte. Am Samstagabend 9 Uhr fand nach dem Festgeläute ein großartiger Lampionszug durch verschiedene Straßen nach dem Festplatz statt. Die Musikkapelle Knapp leistete dabei ihr bestes und die Böller, die uns Herr Baron Wambolt in Birkenau freundlichst zur Verfügung gestellt, sandten ihre donnernden Grüße durch das Thal, in den Bergen des herrlichen Odenwaldes festlich wiederhallend. Kaum auf unsere, herrlich gelegenen Festplatz angekommen, sandte uns der Himmel den noch von seinem Überfluß übrighabenden Regen und man mußte in der Emig’schen Wirtschaft schützendes Obdach aufsuchen. Am Sonntagfrüh weckten die Böller die Bewohner Liebersbachs und die Festkapelle ließ ihre ergreifenden Weisen und Märsche durch unser sonst so stilles Dörfchen ertönen. Bis 11 Uhr war das Wetter günstig – aber von 11 bis 3 Uhr floss das Wasser in Strömen. Trotz dieser ungünstigen Witterung kamen die Vereine von allen Seiten herbei, und endlich ließ der Regen nach. Um 3 Uhr konnte man an die Aufstellung des Festzuges denken. Dieser bewegte sich ganz programmmäßig durch die Ortsstraßen. Nach Ankunft auf dem Festplatze fand die Begrüßung der fremden Vereine und der Festgäste durch den Präsidenten des Vereins, Herrn Braun statt. Er hieß alle Anwesenden namens des Vereins recht herzlich willkommen, versicherte sie, daß wie ja der Schmuck der Straßen und der Häuser zeige, die Liebersbacher alles aufgeboten hätten, den Festgästen den Aufenthalt in unseren Mauern so angenehm wie nur möglich zu machen, damit der Tag ein frohes Sängerfest werde für Einheimische und Fremde und forderte die Liebersbacher zu einem dreifachen Hoch auf die auswärtigen Vereine und Gäste auf. Die eigentliche Festrede hielt der Dirigent des Vereins, Herr Lehrer Wenicker, er betonte in derselben den neutralen Boden der Gesangsvereine, die Einwirkung des Liedes auf dem Gebiet des Religiosität und der Vaterlandsliebe, den Gesang als Mitkämpfer im Streite und als Sorgenbrecher im Frieden nach des Tages Last und Arbeit, die Aufgabe der Gesangsvereine dem Zeitgeist gegenüber, das Lied als starken Mahner zur Einigung der Menschen; setzte die Bedeutung der Fahne und namentlich der Sängerfahne auseinander, forderte die Sänger auf, jederzeit den Gesang und die Zusammengehörigkeit zu pflegen zum Wohl des deutschen Volkes.

1901    Nieder-Liebersbach , 5. März. Bei der Familie des Landwirtes Johann Adam Kadel fiel das 1 1/2jährige Söhnchen in einen Topf mit heißem Wasser. Die Verbrennungen  waren so stark, daß das Kind trotz ärztlicher Hilfe starb.

1902    Nieder-Liebersbach, 14 Juli. Ein 59jähriger Landwirth wollte mit seinem Fuhrwerk Klee holen. Unterwegs gingen ihm die beiden Kühe durch, das Gespann und der Wagen gingen über den Unglücklichen hinweg. Er erhielt dadurch solche inneren Verletzungen, daß er nach zwei Tagen verstarb. Die Frau des Landwirthes erlitt bei dem Unglück einen Schenkelbruch.

1902    13. November. Der Plan für die Errichtung der oberirdischen Telegraphenlinie an der Kreisstraße 24 von Birkenau nach Nieder-Liebersbach liegt beim Postamt in Weinheim aus.

1905    Nieder-Liebersbach, 10. Januar. Nachdem unser Friedhof schon seit einigen Monaten fertiggestellt und merkwürdigerweise schon nahezu ein halbes Jahr keine Beerdigung mehr stattgefunden hat, wurde nun der erst Gast auf dem neuen Gottesacker, nämlich die 40 Jahre alte Frau des Johannes Flößer von Nieder-Liebersbach beerdigt.

1905    17. Januar. Ein schrecklicher Unfall ereignete sich in der Nähe von Nieder-Liebersbach. Der verheiratete 42jährige Landwirt Nikolaus Müller aus Balzenbach fiel von seinem Fuhrwerk und wurde von diesem überfahren. Er erlag seinen schweren Verletzungen.

1905    Nieder-Liebersbach, 7. März Seit Samstag haben wir hier eine 4. Wirtschaft und hatte der Wirt, Herr Schäfer, in diesen Tagen reichen Zulauf von hier und aus der Nachbarschaft.

1905    Nieder-Liebersbach 21.September.Die von Herrn Baumeister Kabey in Rimbach für Rechnung des Herrn Rentiers Bürner in Darmstadt, eines geborenen Nieder-Liebersbachers, erbaute Villa ist nun fertig. Das neue Anwesen an der Kreisstraße nach Birkenau gelegen, umfaßt ein Gebiet von 4 Morgen Fläche und ist somit die erste Villa in unserem Tal. Er beabsichtigt noch eine weitere Villa zu errichten.

1907    Nieder-Liebersbach, 3. Januar. Milchhändler Müller aus Nieder-Liebersbach ist vom Schöffengericht wegen fahrlässigem Verkaufs verfälschter Milch zu einer Geldstrafe von 60 Mark oder 10 Tagen Gefängnis verurteilt worden. Nach Berufung wurde die Geldstrafe um die Hälfte herabgesetzt.

1908    Nieder-Liebersbach, 23. Febr. Schon lange machte sich in his. Gemeinde das Bedürfnis fühlbar, an den Nachmittagen noch eine Postbestellung zu erhalten, da alle Postsendungen, die mittags um 12, bezw. 1 Uhr, sowie nachmittags um 4 bezw. 5 Uhr in Birkenau ankommen, erst am anderen Morgen hier ausgetragen werden. Die Oberpostbehörde hat deswegen dem Ersuchen der hiesigen Bürgerschaft stattgegeben und eine dritte Postbestellung nach Eintreffen des Fünfuhrzuges in Birkenau für hiesigen Ort angeordnet. Die Bestellung wird vorläufig von einem Hilfspostboten versehen.

1908    Nieder-Liebersbach, 6. April. Gestern hielt Herr Kreisobstbaumtechniker Ohrtmann in der Wirtschaft „Zur Rose“ hier eine Vortrag über „Obstbaumpflege“. Diese war sehr gut besucht. … Die an den Vortragenden gestellten Fragen wurden mit größter Bereitwilligkeit eingehend erklärt und beantwortet. Zum Schluß schritt Herr Ohrtmann zur Gründung der 46. Ortsgruppe des Kreisobstbauvereins und meldeten sich gleich 18 Mitglieder. Herr Leonhard Bürner, Rentner, wurde zum Vorsitzenden der hiesigen Ortsgruppe gewählt.

1908    Nieder-Liebersbach, 11. August. Taglöhner Adam Kadel und Schreiner Joh. Lohmüller von Nieder-Liebersbach wurden beim Pirschen auf dem Hirschkopf erwischt und verhaftet. Lohmüller wurden zu 6 Monaten und Kadel zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt.

1908    Nieder-Liebersbach 8.Oktober. Der neue Ballon Mainz-Wiesbaden überflog Nieder-Liebersbach so nieder, daß die Seile den Boden berührten. Hier hat man noch nie einen Ballon in solcher Nähe gesehen.

1908    Nieder-Liebersbach, 21. Okt. Gestern wurde dahier das Wendelinusfest (gelobter Feiertag für die Gemeinde) feierlich begangen. An diesem Tage ruhen alle Feldarbeiten. In der Kirche war Beichte, Kommunion, Frühmesse, Levitenamt und Andacht. Am Nachmittag fand Bauernversammlung in der Wirtschaft „Zur Krone“ statt. Als erster Redner erklärte Herr Generalsekretär Hoffmann aus Seligenstadt unsere Steuergesetze und behandelte Staats- und Gemeindesteuern in nahezu 1 1/2stündiger Rede. Er erklärte auf das Genaueste, was man versteuern müsse und auch, was steuerfrei sei. Dann sprach er noch über die Unfallversicherung, die Landwirte durch viele Beispiele zur Versicherung dringend ermahnen. Herr Lagerhausverwalter Klimm von Lorsch sprach über Haftpflicht, Düngung und Kraftfuttermittel. Beide Vorträge boten des Wissenwerten die Fülle und ist’s nur zu bedauern, daß die Versammlung nicht noch zahlreicher besucht war. An der anschließenden Diskussion beteiligten sich namentlich die Herren Pfarrer Sulzbach, Bürgermeister Emig und Lehrer Pörtner aus Kirschhausen. Ein dritter Redner, der Sohn des „bayerischen Bauernkönigs“, Herr Dr. Heim konnte leider, der fortgeschrittenen Zeit wegen, nicht mehr zum Worte kommen, versprach aber sein Erscheinen für den Monat Dezember. Möchten doch alle Bauern solche Versammlungen fleißiger, wie seither besuchen und sich namentlich unsrem Lokalverein anschließen, der ihnen außer allem Wissenwerten in Wort und Schrift ungeheure Vorteile ihrer Bedürfnisse für Haus und Beruf bietet.

Günter Körner (16.12.2014)