Über die ev. Schule 1844

Vorrede: Die evangelische Liebersbacher Schule wurde von August 1842 bis Ende September  1844 von dem aus Dreieichenhain stammenden Georg Jost geleitet. Er hatte für die damalige Zeit eine lockere Lebensweise und eckte so bei seinem Vorgesetzten, dem ev. Pfarrer Gilmer von Birkenau mehrmals an. Es ist davon auszugehen, dass auch Bürgermeister Johann Adam Kadel Missfallen über Jost äußerte. Dieser soll „ein lustiger Lehrer gewesen sein, der leichtsinnig und dem Trunk ergeben war“. In einem Schreiben an den ev. Pfarrer Gilmer vom 25. Juni rechtfertigt er sich u.a. darüber, dass er den Schulkindern kurzerhand Heuferien gegeben hatte, was den Unmut seines Vorgesetzten und des Bürgermeisters Kadel stieß. Nachfolgend ein Schreiben des Lehrers Georg Jost an den ev. Pfarrer Gilmer, das interessante Einblicke gibt.

 

Nieder-Liebersbach, den 25. Juni 1844

Euer Hochwürden,

werden gütigst entschuldigen, wenn ich es wage, Sie mit diesen Zeilen zu belästigen, durch einen wehen Fuß bin ich abgehalten, selbst zu Ihnen zu kommen, um mein Anliegen vorzutragen.

Wenn Sie bei Ihrem letzten Hiersein die Schulstubentür noch verschlossen fanden, so wollen Sie daraus nicht den Schluss ziehen und als Nachlässigkeit mir verrechnen. Ich bin morgens schon frühe wach, lasse aber die Türe verschlossen, um von den nach und nach kommenden Kindern in meiner Arbeit (Vorbereitung zum Staatsexamen) nicht gestört zu werden. Entschuldigen Sie also, wenn ich bei Ihrem Anpochen nicht öffnete. Durch Bürgermeister Kadel wurde mir denselben Tag noch auf Ihren Antrag wegen verspäteten Schulanfang, sowie wegen ungesetzlicher Heuferien Vorhalt gemacht und ich bedeutet, dass Sie wenn es nochmals geschehe, unverzüglich der Bezirksschulkommission Anzeige machen müssten, und wie ich gestern hörte, schon Anzeige gemacht hätten.

Euer Hochwürden haben mich bisher mit vieler Nachsicht behandelt, wenn Sie mich aber aufs Neue zur Anzeige gebracht haben, so geschieht mir offenbar Unrecht. Ich bin fest überzeugt, Euer Hochwürden hätten die Anzeige unterlassen, wenn Sie meine Rechtfertigung hinsichtlich des mir gemacht werdenden Vorwurfs früher gehört hätten.

Die Schule kann ich vor 1/2 8 Uhr nicht beginnen, ebenso der kath. Lehrer Fritz. Die Kinder kommen einmal schon wegen den entfernt liegenden Wohnungen zu spät, dann wissen sie oft gar nicht wie viel Uhr es ist, und so kommt eins nach dem andern, 2, auch 3 früh, die andern oft sehr spät. Ich kann nun wegen der geringen Anzahl Kinder den Unterricht nicht eher beginnen, bis alle Kinder beisammen sind. Um 1/2 8 Uhr wird ein Zeichen mit der Glocke gegeben und der Unterricht beginnt. Wie Sie hier waren, war es noch nicht 7 Uhr und die Kinder noch nicht alle beisammen. Ich hoffe, Sie würden nochmals in die Schule kommen, Sie gingen aber vom Bürgermeister direkt nach Haus, indem Sie vielleicht glaubten, es wäre keine Schule. In diesem Fall sind Sie im Irrtum, denn ich hielt Schule.

Über die Ordnung der hiesigen Einwohner erlaube ich nur, Sie auf den Gottesdienst aufmerksam zu machen. Sie beginnen den Gottesdienst um 1/2 9 Uhr, aber wer kommt zu spät ? Sie werden die Erfahrung gemacht haben, dass es immer Liebersbacher sind. Wie es mit der Kirche ist, so ist es mit der Schule. Es wäre nur ja viel anzunehmen, namentlich jetzt wo ich mich zum Staatsexamen vorbereite, wenn ich die Schule um 6 Uhr anfangen könnte, ich wäre ja um 9 Uhr fertig und hätte alsdann mehr Zeit zur freien Disposition. Sie werden ersehen, dass es nicht möglich ist, die Kinder früher zusammenzubringen und ich glaube Entschuldigung zu verdienen. Was die Heuferien betrifft, so muss ich bemerken, dass ich mehr aus pädagogischer Rücksicht handelte. Der kath. Lehrer Fritz hielt 10 Tage Heuferien, ohne dass sich jemand darüber kümmerte. Nachdem ich Schule hielt, während Fritz Ferien hatte, fragten mich meine Kinder, ob sie auch Ferien bekämen? Ich musste mit Nein antworten und es gab betrübte Gesichter. Die Aufmerksamkeit war verschwunden. Das Kind fühlt sich gekränkt, zurückgesetzt, wenn es nicht dieselben Rechte genießt, als ein anderes.

Schule, der Unterricht wird ihm widerwärtig und kann daher der Unterricht gedeihlich sein? An einem Morgen kamen 5 oder 6 Kinder, alle übrigen ließen sich entschuldigen, sie müssten Heu machen. Kann ich mit 5 Kinder, worunter ABC-Schützen, Schule halten, ohne auch meinem Unterrichtsgange herausgerissen zu werden. Ich setzte 2 Tage die Schule aus, was dem hiesigen Schulvorstande bekannt war.

Aus allem, was ich höre hat man mich wieder bei Ihnen angezeigt, aber nicht um das Gute zu wollen, nein, man versucht mich zu verleumden und mich mit Gewalt wegzubringen. – Sehr kränkend ist es daher für mich, wenn Sie die Beschwerden gegen mich ohne, dass ich vorher nur ein Wort zu meiner Rechtfertigung gesprochen habe, schon für wahr und gewiss halten und zur Basis ihrer Anzeige machen, ohne dass der obliegenden Gemäßheit überzeugt zu sein. Gibt man einen Verbrecher am Gericht einen Verteidiger und darf ich mich noch verteidigen? Können Sie der Aussage einer Frau, wenn sie sagt, ich verabschiede die Kinder vom Fenster heraus, mehr Vertrauen schenken, als meiner Aussage ? Vor einiger Zeit fühlte ich mich morgens so unwohl, dass es mir unmöglich war, Schule zu halten. Ich öffnete das Fenster und sagte den Kindern, ich könne wegen Unwohlsein keine Schule halten. Wenn dies einmal geschehen ist, kann man noch nicht sagen, dass es oft geschieht. Und kann man mir dieses als Pflichtverletzung anrechnen? Über meine Aufmerksamkeit in meinem Berufe, beziehe ich mich auf die stattgefundenen Prüfungen und auf das Zeugnis jedes rechtschaffenen hiesigen Bürgers. Euer Hochwürden können meine bedrängte Lage, die mich zur Versehung von Nebenarbeiten zwingt und wodurch ich während des Wintersemesters einige Male genötigt war, die Schule auszusetzen. Dieses habe ich nicht mehr nötig, da sich mir während der Sommerschule hinreichende Zeit darbietet, meine Nebenarbeiten zu versehen. Es lag nicht in meinem Interesse, wenn ich die letzten zwei Tage Ferien machte, sondern es lag im Interesse der resp. Familien. In einigen Wochen gedenke ich mein Staatsexamen zu machen, wobei es auf gute Zeugnisse viel ankommt. Halten mich Euer Hochwürden für so gewissenslos, dass ich mit eigener Hand an meinem Verderben arbeite? Hätte ich nicht noch Liebe zum Leben; ich würde im Augenblick der Aufregung anders handeln. Ich bin mir bewusst, meine Pflichten erfüllt zu haben und muss bei den Vorgesetzten dastehen, ohne Gewissen, verkannt und verachtet ! Und warum ? Weil ich dem Bauernstolz, dem Ehrgeiz hiesiger Männer nicht huldige.

Verzeihen Euer Hochwürden, wenn ich durch das viele Schreiben Sie belästige, ich konnte nicht anders. Sie werden sich eines bessern überzeugen und die gegen mich einlaufenden Beschwerden nicht unbedingt annehmen. Meine ganze Existenz wird dadurch gefährdet und ich kann auf längere Zeit brotlos werden, ohne dass jemand den geringsten Nutzen davon hat.

Nehmen Sie die Versicherung der vollkommensten Hochachtung.  Ihr ergebener

Jost

Günter Körner 5.8.2015