Von Feldschützen und Feldfreveln (1842-1873)

Wer wie der Verfasser dieser Zeilen seine Kindheit in den 1950er und 1960er Jahren erlebt hat, erinnert sich sicherlich noch an eine Einrichtung, die jede Gemeinde hatte, die damals landwirtschaftlich geprägt war. Nachmittags ging es auf die Wiesen und Felder, da kam es schon einmal vor, dass Äpfel, Birnen oder Zwetschgen stibitzt wurden. Mitunter kam zu einer solchen Aktion unerwartet der von der Gemeinde besoldete Aufpasser, was mit dem Warnruf „Achtung der Feldschitz kimmt“ quittiert wurde. Wir Kinder rannten dann wieselflink in sämtliche Himmelsrichtungen davon. Bis sich dann der Feldschütze auf seinen Drahtesel geschwungen und orientiert hatte, war der Markt für ihn meist verlaufen. Rufe wie „Ehr Saideifel isch grieh eich schunn noch“ änderten nichts an seinem Misserfolg. Konnte der Feldschütze doch einen „Täter“ dingfest machen, kam zu der fälligen Geldstrafe als Zugabe noch eine Tracht Prügel vom Vater.

Von ähnlichen Vorfällen berichtet ein Feldfrevelbuch der Gemeinde Nieder-Liebersbach, das von 1842 – 1873 geführt wurde. Ein wesentlicher Unterschied zu den episodenhaften Jugenderinnerungen ist dabei die Tatsache, dass die Feldfrevel im vorletzten Jahrhundert überwiegend aus Notlagen heraus begangen wurden. Diesem „Unwesen“ sollten die Feldschützen mit aller Strenge begegnen.

Grundlage für die Ahndung von Feldfreveln war das Feldstrafgesetz. Zu diesem Gesetz wurde mit Datum vom 18. Februar 1842 eine Ausführungsverordnung erlassen, die auszugweise in dem von jeder Gemeinde zu führenden Feldfrevelbuch abgedruckt war. Danach waren die Feldschützen verpflichtet, der Ortspolizeibehörde wöchentlich alle Vorkommnisse zu melden. Bei Gefahr im Verzug konnten sofort geeignete Maßnahmen, wie Verhaftung, Hausdurchsuchung usw. veranlasst werden. Die einzelnen Feldfrevel musste der Feldschütze auf einem Formular der Gemeinde melden, die wiederum diese Angaben in das Feldfrevelbuch niederschrieb. Aufgabe des Feldschützen war neben der Feststellung der Personenangaben auch das Sammeln von Beweismitteln, sprich die Sicherstellung entwendeter Früchte. Fehlen durfte auch nicht die Angabe über die Höhe des entstandenen Schadens. Zu vermerken war darüber hinaus, ob ein „Angeschuldigter notorisch unvermögend ist“, ob der Feldfrevler bereits mehrmals eines Diebstahls überführt wurde und bei straffällig gewordenen Soldaten die Angabe „in welchem Regimente er steht“.

In den Monaten Februar April, Juni, August, Oktober und Dezember waren Feldrügegerichte abzuhalten, bei denen die ertappten Frevler zu einer Geldstrafe verurteilt wurden. Nach der Abhaltung der Feldrügegerichte musste dem Landgericht „als Polizeigericht erster Instanz“ umfassend Bericht erstattet werden. „Bei Überhandnehmen gewisser Frevel oder bei etwaigen Nachlässigkeiten der Feldschützen, sind die Ortspolizeibehörden verpflichtet, zu dem Ende die Register mit Begleitungsbericht dem ihnen vorgesetzten Kreisrat oder Landrat bis zum 25. des oben bemerkten Monats ….. anzuzeigen.“

Im Nieder-Liebersbacher Feldfrevelbuch sind für die Zeit von 1842 – 1873 knapp über 1000 Verstöße festgehalten. In den ersten Jahren waren die Feldschützen besonders fleißig, es wurden jeweils bis zu 80 Beanstandungen notiert. Es fällt auf, dass in den Revolutionsjahren 1848/49 dagegen nur 12 bzw. 14 Feldfrevel festgehalten sind. Offenbar fürchtete die Obrigkeit eine Überreaktion der Bevölkerung. Ansonsten dürfte die Anzahl der Einträge stark vom Fleiß und Einsatzwillen der Feldschützen abhängig gewesen sein. Aus den leider sehr lückenhaft vorhandenen Gemeinderechnungen der ehemaligen selbständigen Gemeinde Nieder-Liebersbach ließen sich für den fraglichen Zeitraum einige Feldschützen namhaft machen. Etwa ab 1825 war Johannes Gräber Feldschütze. Ein regelmäßiges Einkommen scheint er nicht erhalten zu haben, da er die verhängten „Feldstrafgebühren“, für 1835 in Höhe von 6 Gulden 12 Kreuzer erhielt. Daneben waren offenbar noch andere Hilfskräfte im Einsatz. Die vereinnahmten Strafgelder der Jahre 1825 – 1830 kamen an Johannes Gräber und Konsorten zur Auszahlung. 1843 hatte der Feldschütze Johannes Hasenzahl immerhin ein jährlichen Einkommen von 80 Gulden. Dies aber auch wohl nur deshalb, weil er gleichzeitig als AForstschütze tätig war, d.h. die Aufsicht über die gemeindlichen Waldungen führte. 1849 wird als Feldschütze Philipp Gölz erwähnt, der 49 Gulden jährliches Einkommen hatte. Die Höhe der verhängten Strafen belief sich damals zwischen 11 und 13 Gulden. Die Gemeinderechnungen nennen von 1860 bis 1875 Michael Heckmann als Feldschützen. Ab 1866 erhielt er eine „persönliche widerrufliche Zulage“ von 25 Gulden 6 Kreuzer, was sein Einkommen auf 70 Gulden aufbesserte. Die ausgesprochenen Strafen beliefen sich mittlerweile um 20 Gulden. Ab 1875 sind als jährliches Einkommen 171,43 Mark genannt.

Die meisten der Feldfrevel scheinen aus wirtschaftlicher Not begangen worden zu sein, es wurde Vieh „an verbotenen Orten weiden lassen“ oder man besorgte sich meist in aller Herrgottsfrühe eine Traglast Futter für das im Stall stehende Vieh. Um einen authentischen Eindruck zu vermitteln, folgen im Originalwortlaut Einträge aus dem genannten Feldfrevelbuch, das in ganz ähnlicher Form damals in jeder Ortschaft geführt wurde.

Der erste Eintrag im „Feldfrevelbuch“ vom 6. Mai 1843 lautet:

– Peter Jeck von Nieder-Liebesbach hat mit zwei Stück Vieh auf den gemeinen Allmenden geweidet. Als „Beschädigte“ wurde die Gemeinde aufgeführt.

– Am 18. Mai 1843 „hat dem Adam Klein seine Frau Anna Margaretha an dem Graben Futter in der Weickertswies 1/4 Traglast gemacht.“ Durch diese Tat waren Georg Michel Attig und Leonhard Kadel in Höhe von 2 Kreuzer geschädigt worden.

-Am 21. Mai 1843 „morgens um 8 Uhr ist Adam Klein mit einem Wagen voll Dung über der Witwe Helfert ihren Allmendacker gefahren, welcher mit Hanfsamen besämt ist.“

Je nach Jahreszeit ereigneten sich innerhalb weniger Tage ganz ähnliche Feldfrevel. Für November/Dezember 1843 befassen sich nicht weniger als 10 Einträge mit dem Diebstahl von Weißrüben, wovon ein typischer Eintrag vom 21. November lautet:

-Vormittags gar hat dem Philipp Schuch seine Tochter eine Last Weißrüben gemacht und ist dem Schützen Hasenzahl auf dem Weg begegnet.“

Am 26. Juli 1845 hatte der Feldschütze einen starken Verdacht, konnte aber letztendlich keine sichere Beweisführung antreten: „Peter Helfert II. hat bei Betretung seines Ackers nachmittags um sechs Uhr zwei Säck Klee auf seinem Wagen gehabt. Derselbe gab an, er habe den Klee von dem Georg Michel Schwöbel seinem Knecht von Nächstenbach geschenkt erhalten. Nach angestellter Untersuchung war die Angabe gelogen. Und nach meiner Ansicht war der Klee auf Johannes Stäcklers III seinem Acker gefrevelt.“

Aber auch Kleinvieh war in der Lage zu „freveln“:

-Am 2 Juli 1845 Ahaben dem Philipp Mülbert seine fünf Stück Gäns morgens um 11 Uhr im Mühlgraben geweidet.“ Oder am gleichen Tage hatte Adem Michel Heckmann sein ein Stück Huhn hat im Spelz des Adam Knapp geweidet.“

Am 14 Juli 1845 „hat dem Schmitt sein Sohn Adam Gelbrüben ausgeroppt, 29 Stück im Kandelstück.“

Reifes Obst weckte natürlich auch Begehrlichkeiten, so auch am 11. August 1846: „Dem Zink seine Tochter Katharina hat mittags um ein Uhr Äppel geschüttelt im Wehracker. Sie ist bei Entdeckung entlaufen und hat die Äppel liegen lassen.“ Am gleichen Tag „nachmittags um ein Uhr hat dem Jakob Knapp sein Sohn Johann eine kleine Last Dörrzwetschgen abgeschnitten im Rod.“

Im Winter 1847, am 26. Dezember hat „Georg Jöst morgens um sechs Uhr vor Sonnenaufgang im Baumacker einen grünen tragbaren Appelbaum von fünf Zoll dick mit der Säg abgeschnitten.“

Ebenfalls im Winter 1847 wurden „bei der Stetten Witwe 650 Nüsse auf dem Speicher entdeckt. Sie hat nicht angegeben, wo sie gefrevelt worden sind.“ Weitere 250 Nüsse wurden bei Margaretha Eckert entdeckt, bei Johannes Gölz II wurden mittags um 12 Uhr bei einer Hausdurchsuchung 125 Nüsse gefunden.

Am 29 Oktober 1850 machte sich gar Bürgermeister Bürner mit dem Gemeinderat Hübner auf den Weg zu Susanna Stetten sie „hatte einen halben Malter Kartoffel auf dem Acker des Nikolaus Hübner im Bergelberg ausgemacht.“

Feldschütze Philipp Gölz hatte einen langen Arbeitstag, was folgender Eintrag belegt: „Dem Gölz Philipp sein schulpflichtiger Pflegesohn Philipp hat am 8. August 1850 nach dem Nachtläuten um 8 1/2 Uhr seine Kuh auf dem Kleeacker auf der Reisener Höhe geweidet.“ Offenbar hatte sich die Nieder-Liebersbacher Dorfjugend abgesprochen, da Johannes Knapp ebenfalls zur gleichen Zeit am gleichen Ort mit einer Kuh erwischt wurde. Susanna Stetten hatte exakt um diese Zeit dort einen Arm voll Klee „geroppt“. Wiederholt schickte Susanna Stetten ihre Kinder auf die Reisener Höhe um Klee zu sicheln oder die einzige Ziege weiden zu lassen. Sicherlich war bei dieser Familie Schmalhans Küchenmeister.

Im Gegensatz dazu regt mancher Eintrag (v. 4. Mai 1857) auch zum Schmunzeln an: „Bei Michael Heckmann fand man bei einer Hausdurchsuchung sieben Sorten Blumenstöcke, welche er in der Nacht vom 3. auf den 4. Mai nach Geständnis seiner Frau ausgerupft und entwendet habe. In der Nacht am 26. April wurden fünf Blumenstöcke in Michael Jecks Garten ausgerupft, welche Michael Jecks Frau für die ihrige erkannte. Die sämtlichen Blumenstöcke wurden den Eigentümern wieder zugestellt.“

Am 14. August des gleichen Jahres hatte Adem Leonhard Jeck III. seine Frau nach Artikel 75 (?) Unflat in des Peter Jeck II. seinen Grasgarten in Verbindung mit Artikel 60 geschüttet:“

Notfalls griff der Feldschütze Michael Heckmann unerbittlich durch, so auch am 9. Oktober 1867: „Nach Anzeige des Adam Jeck III. hat Johannes Jeck III. in der Nacht vom 8. Auf 9. Oktober Birnen von seinem Baum geschüttelt. Worauf bei Hausdurchsuchung bei Johannes Jeck III. 46 Stück dergleichen Birnen im Bett versteckt waren, welche noch nass waren und nach allen anderen Anzeichen von dem obengenannten seinem Baum waren.“

Am 9. April 1869 hatten Georg Geiß, Leonhard Jeck III., Philipp Jeck III., Johannes Knapp II., Michael Röhm, Leonhard Schmitt II. und Nikolaus Schütz „Ihre Tauben polizeiwidrig bei offenem Schlag fliegen lassen.“

Diese gewissenhaft aufgezeichneten Feldfrevel ließen sich weiter fortsetzen, so u.a. wurde unerlaubt „Wasser geschwellt“, „31 Stück Bohnenstangen entwendet“ und auch einmal der „Acker breiter gepflügt“.

Die Einträge geben eine Vorstellung von den Problemen und Alltagssorgen unserer Vorfahren, die von uns als Zeichen einer damals scheinbar noch heilen Welt verstanden werden.

Günter Körner (13.12.2014)