Elektrifizierung

Am 16.12.1912 schrieb der Inhaber des Elektrizitätswerks Reisen, Heinrich Müller, an die Großherzogliche Bürgermeisterei: „Veranlasst durch verschiedene Anregungen habe ich die Absicht, die Leitung meines Elektrizitätswerkes bis Nieder-Liebersbach auszudehnen. Ich bitte um gefällige Mitteilung, ob Sie geneigt sind, in der Gemeinde elektrische Straßenbeleuchtung einzuführen, sowie mir die übliche Konzession (= alleiniges Monopol Strom zu liefern) zu erteilen.“

Bereits am 30. 12. bejahte der Gemeinderat dieses Vorhaben, jedoch unter der Bedingung, „dass sich die Beleuchtung durch elektrischen Strom nicht höher kommt als Beleuchtung durch Petroleum.“ Das zeitgleich angeschriebene Hornbach dagegen zauderte und lehnte das Angebot ab.

Heinrich Müller schloss mit der Gemeinde Nieder-Liebersbach am 31.3.1913 einen Vertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren, der am 28.4. vom Kreisamt gutgeheißen wurde. Die Gemeinde konnte nach ihrem Wunsch 18 Standorte von Straßenlaternen angeben (es waren die Stellen, an denen die seitherigen Petroleumfunzeln gestanden hatten), für die jährlich 300 Mark an Heinrich Müller zu zahlen waren. Für jede zusätzliche Straßenlaterne mit „32 Kerzen“ waren 20 Mark extra und für eine Laterne mit „50 Kerzen“ waren 24 Mark extra jährlich zu berappen. Die Laternen waren bei Anbruch der Dunkelheit durch einen Bediensteten der Gemeinde einzuschalten. Die Abschaltung sollte gegen 11 Uhr nachts erfolgen. Bei Kerwe oder anderen Feierlichkeiten war es gestattet, bis nachts 2 oder 3 Uhr das Licht anzulassen. Bei Feuer und Hochwasser brannte das Licht selbstredend die ganze Nacht.

Der Preis für die Kilowattstunde Licht betrug 50 Pfennige, für „Kraftstrom“ dagegen nur 20 Pfennige. Dem Unternehmer Heinrich Müller war es freigestellt, die Kabel oberirdisch mit „Dachstangen“ oder unterirdisch zu verlegen. Die Gemeinde gestand dem Stromlieferanten ein Monopol zu.

Gelegentlich schien es vorzukommen, dass es technische Schwierigkeiten da, da etwa vom 21. – 31.3.1914 „das Licht nicht brannte“. Dies brachte die Gemeinde in Abzug.

Im Juli 1920 verdoppelte sich der Strompreis. Im Oktober des gleichen Jahres verlangte Müller für ein Kilowatt 3 Mark, da er vorübergehend gezwungen war, den Strom mit Dampfkraft zu erzeugen. Für die Zeit vom 1.4. – 31.12.1923 wurden der Gemeinde 32.258.318.036.890 Mark für die Straßenbeleuchtung in Rechnung gestellt. Für einen auszuwechselnden Schalter waren über eine Billion Mark zu zahlen.

1932 herrschte Ebbe in der Gemeindekasse, da die Kosten für Stromlieferung für die Straßenbeleuchtung „mangels Kredit“ im nächsten Jahr bezahlt werden sollten.

Für Heinrich Müller war das Monopol für die Stromlieferung nach Nieder-Liebersbach von weitaus größerer Bedeutung als die Einnahmen aus der Straßenbeleuchtung. Er musste „nur noch abwarten“ bis ein Hauseigentümer nach dem anderen die Zeichen der Zeit erkannte und auch an das Stromnetz angeschlossen werden wollte. Dieser Markt war um ein vielfaches lukrativer.

Günter Körner (29.1.2015)