Allmende

Mit dem Begriff Allmende verbanden unsere Vorfahren die Nutzung von gemeindeeigenem Besitz, also von Feldern, Wiesen, Gärten, Wald aber auch von Ödland. Den Inhabern dieser Allmendstücke stand die meist unentgeltliche Nutzung, d. h. der Ernteertrag, das Weiderecht oder der Holzeinschlag zu. Da immer mehr Bewerber als Grundstücke vorhanden waren, mussten Regelungen getroffen werden, die den Zugang zur Allmende regelten. Die Handhabung konnte dabei von Ort zu Ort ehr verschieden sein.

Grundsätzliche Voraussetzung war das Bürgerrecht, das beim Eintrag in das Ortsbürgerregister förmlich erworben wurde. Hierzu waren der Erwerb eines Feuereimers und die Entrichtung des sog. Feuereimergeldes notwendig. Beispielsweise erwarb Adam Kohl 1849 das Ortsbürgerrecht und bezahlte für einen „strohenen Feuereimer“ 48 Kreuzer. Für die Inanspruchnahme des „Gemeindenutzens“ waren noch einmal 3 Gulden fällig. Ein solcher Schritt bedeutete jedoch nicht automatisch die Zuteilung eines gemeindeeigenen Grundstücks, da diese auf Dauer verliehen wurden und man sich gedulden musste, bis der Inhaber eines Allmendgrundstücks entweder verstorben oder aus dem Ort weggezogen war.

Wie in anderen Gemeinden auch war die Vergabe von Allmendgrundstücken ein Teil der Ortsbürgerrechte, denen andererseits die Verpflichtung zu Hand- und Spanndiensten gegenüberstand.

Erstmals werden Allmendgrundstücke im Jahre 1654 anläßlich der Beschreibung des Ortes nach dem 30jährigen Krieg „In der Lang“ erwähnt.

Im Jahr 1787 wird die Vergabe der Allmendgrundstücke wie folgt vermerkt:

„Die Gemeinde besitzt etwa 4 1/2 Morgen Acker, 1 1/4 Morgen Wiesen, dann Krautgärten, welche aber, gleichwie bei anderen Gemeinden unter die Gemeindsleute verteilet und unentgeltlich benutzt werden“.

Interessant ist auch die Frage, wo die Gemeinde Nieder-Liebersbach solche Allmendgrundstücke hatte. Auskunft hierüber gibt u a. die Gemeinderechnung des Jahres 1850:

1 Viertel 51 Klafter Acker in der Hohnswiese

1 Morgen 1 Viertel 69 Klafter Gemeinde-Allmend Altenacker

71 Klafter In den Hammelsgräben

2 Viertel 41 Klafter In den Hammelsgräben

4 Morgen 1 Viertel 4 Klafter Acker in 2 Stücken über dem alten Ackerweg

2 Viertel 41 Klafter Acker daselbst (Espenloch)

12 Morgen 99 Klafter Acker In der Lang unter dem alten Weg

Komplettiert wird diese Aufzählung durch den Vermerk: „Vorstehende Güter sind unter die Bürger der engeren Gemeinde in 166 Stücker verteilt. Die aus der Bürgerschaft abgestorbenen Lose sind für die Bürger der anderen Gemeinde verfallen und werden für solche verpachtet“. Die Hessische Gemeindeordnung von 1821 unterschied in Mitglieder der „engeren Gemeinde“ (Nutzungsberechtigte) und Mitglieder der „weiteren Gemeinde“, also in die übrigen Einwohner, die bei Nutzung eines Allmendgrundstücks Pacht bezahlen mussten.

So standen 19 Morgen 2 Viertel 76 Klafter Gelände für Ortsbürger zur Verfügung, was bei 166 Nutzungsberechtigten und einer Fläche von etwa 49 000 Quadratmetern gerade einmal 295 Quadratmeter Ackergelände pro Nutzungsberechtigten ausmachte. Dieses Verhältnis wurde um1870 durch die Festlegung auf die 120 „ältesten Ortsbürger“  etwas verbessert. Trotz des eher bescheidenen Umfangs der Allmend waren diese Lose, die alle 6 Jahre zur Vermeidung von Ungerechtigkeiten unter den Berechtigten neu verteilt wurden, besonders bei der armen Bevölkerung sehr begehrt. Der Wert der Allmend wird 1850 mit 110 Gulden jährlich angegeben, was pro Los etwa 40 Kreuzer ausmacht.

Übereinstimmend wird berichtet, dass in Nieder-Liebersbach im 19. Jahrhundert die Vergabe der Allmend „ohne Statuten verteilt wird“. Schriftliche Regelungen bestanden nicht, es wurde nach Überlieferung verfahren.

Am 6. März1850 stellten die Ortsbürger „der weiteren Gemeinde“ (nicht Nutzungsberechtigte) einen Antrag „um Verteilung der Allmenden der Gemeinde Nieder-Liebersbach“. Dort heißt es:

„Seit dem Jahre 1821, als dem Erscheinen der Gemeindeordnung, wurden die Allmenden, welche der weiteren Gemeinde angehörten, durch Beschluss des Gemeinderats verpachtet und der Erlös dafür alljährlich in gleichen Teilen unter die Ortsbürger verteilt, welcher Beschluss bis auf den heutigen Tag in Ausführung gebracht wurde. Die Zeiten, sowie die Erfahrung hat gelehrt …, dass die Gemeinde in sehr großen Schaden versetzt wurde …, da nur unbemittelte Bürger (solche Grundstücke pachten) … und teils heute noch bei der Gemeinde (mit der Pacht) in Rückstand sind. Unter diesen Verhältnissen stellen daher sämtliche Bürger der weiteren Gemeinde dahier den gemeinsamen dringlichen Antrag, die seit dem Jahre 1821 in Pacht gegebene Allmend von ca. 13 Morgen nurmehr unter dieselben etwa 86 Bürger verteilen zu wollen.“

Das bedeutete, dass nur ein Drittel des zur Verfügung stehenden Geländes unentgeltlich an Bürger der engeren Gemeinde vergeben war und zwei Drittel Gelände an die weitere Gemeinde verpachtet war. Besonders arme Ortseinwohner waren über Jahre mit der Pacht in Rückstand. Um eine gerechtere Regelung herbeizuführen, versammelten sich am 17. März 1850 alle Bürger der engeren und weiteren Gemeinde und erklärten nach einem Protokoll die Rückgabe sämtlicher Allmendstücke, um eine Neuverteilung unter allen Bürgern, gleich welchen Status, vornehmen zu können. Doch scheint damals nicht alles mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Offenbar unterschrieben die Bürger der engeren Gemeinde ein Blatt blanko, auf dem nachträglich Ausführungen gemacht wurden, die vom Besprechungsergebnis wesentlich abwichen.

Am 10 April 1850 widerrufen die Bürger der engeren Gemeinde ihre gegebenen Unterschriften. Mit ihnen sei abgesprochen gewesen, von ihren Allmendstücken „höchstens nur ein paar Furchen abzugeben … und ein jeder junger Ortsbürger nur eine geringe Allmend erhalten sollte.“

So scheiterte damals eine einheitliche Regelung, die allerdings den Nachteil mit sich gebracht hätte, dass jeder Ortsbürger nur 200 Quadratmeter Fläche zur Verfügung gehabt hätte.

1854 beabsichtigte die Gemeinde von Peter Attig „welcher nach Nord-Amerika auszuwandern gesonnen ist“ dessen gesamten Grundbesitz, bestehend aus über 38 Morgen Acker, Wiesen und Waldflächen für 4700 Gulden zu erwerben. Ein großer Teil der Fläche sollte der Allmend zugeschlagen werden und zu einer deutlichen Verbesserung der Verhältnisse beitragen. Das Großherzogliche Ministerium des Innern in Darmstadt hielt den ganzen Kauf „für bedenklich“ und mochte allenfalls dem Ankauf des Waldes zustimmen. Peter Attig verwertete seinen Grundbesitz daraufhin auf andere Art und Weise.

Verschiedene Differenzen und Beschwerden die sich ab 1912 häuften, machten es notwendig, eine Satzung zu erlassen. Dies geschah erst zum Jahresbeginn 1920, obwohl dies bereits 1852 so durch Gesetz festgelegt war. Diese Satzung lautet:

§ 1       Die Gemeinde Allmend zu Nieder-Liebersbach hat einen Flächeninhalt von 4,7974 ha. Sie besteht in 47499 qm Ackerland und 475 qm Wiese. Und ist eingeteilt in 116 Grundstücke.

§ 2       Die Lose werden alle 6 Jahre erstmalig am 15.10.1919 verteilt.

§ 3       Ort, Tag und Stunde der Verteilung bestimmt der Bürgermeister nach Anhörung des Gemeinderats. Er gibt sie spätestens eine Woche vor dem bestimmten Tag ortsüblich bekannt.

§ 4       Der Bürgermeister leitet die Verteilung. Er liest die Namen der zur Wahl eines Loses Berechtigten der Reihenfolge (§ 6) vor. Der Allmendberechtigte, dessen Name verlesen wird, nimmt den Pfahl ab, der das dort von ihm gewählte Grundstück bezeichnet und überbringt ihn dem Bürgermeister zwecks Eintragung in das Verzeichnis

§ 5       Während der Verteilung dürfen Personen, deren Namen zum Aussuchen von Losen noch nicht verlesen sind, die Allmendgrundstücke nicht betreten, die hiergegen verstoßen, oder durch Vorgreifen und Abnehmen eines Loszeichens vor Aufruf ihres Namens die Verhandlung stören, setzt der Bürgermeister hinter den Letztberechtigten auf die Liste.

§ 6       Zur Teilnahme an den Nutzungen eines Loses sind berechtigt:

  1. Die in Nieder-Liebersbach ständig angestellten Lehrer. Für diese sind die Lose 86 und 87 allemal vorbehalten. Die Lehrer wählen daher bei der 6jährigen Verteilung nicht mit.
  2. Die nach ihrem Eintrag in das Ortsbürgerregister 114 ältesten Ortsbürger bzw. deren Witwen, die in Nieder-Liebersbach wohnen nach deren Reihenfolge ihrer Eintragung.

Ortsbürger, die an einen anderen Ort verziehen, verlieren die Berechtigung für die Zeit ihrer Abwesenheit. Bei der Wiederkehr weggezogener Ortsbürger bestimmen sich ihre Rechte nach dem früheren Eintrag in das Ortsbürgerregister. Sie rücken jedoch nur in das nächste frei werdende Los ein und haben erst bei der nächsten ordentlichen Verteilung das ihrem Rang nach dem Register entsprechende Wahlrecht.

§ 7       Abweichend von Artikel 1 des Gesetzes vom 21.6.1852 sind auch die unverheirateten Ortsbürger nutzungsberechtigt, die einen eigenen Herd haben und Gemeindesteuer zahlen.

§ 8       Die Witwe eines Ortsbürgers tritt nur für die Dauer ihres Witwenstandes in das Allmendrecht ihres Mannes an dessen Stelle ein.

§ 9       Stirbt ein Allmendberechtigter ohne eine Witwe zu hinterlassen oder zieht er von Nieder-Liebesbach weg, oder verheiratet sich eine im Besitz eines Loses befindliche Witwe wieder, so verbleibt den oben bzw. den Wegziehenden oder der Witwe die Allmendnutzung bis zu dem auf den Tod, den Wegzug oder die Wiederverheiratung folgenden 1. Oktober.

§ 10     Sind am 1. Oktober an einen neuen Besitzer übergegangenen Grundstücke bereits vor dem Tod, dem Wegzug oder der Verheiratung mit Früchten bestellt gewesen, deren Nutzung erst nach dem 1.10. erfolgen kann, so steht dem im § 9 genannten Berechtigten noch die zeitliche Ernte zu, sofern er sie vor dem 1. 11 einbringt. In diesem Falle beginnt der Nutzungsanspruch des neuen Berechtigten erst am 1. November.

§ 11     Die in § 9 genannten Berechtigten haben keinen Anspruch auf Ersatz für irgendwelche Verwendungen (Dünger, Ackerlohn oder sonstige Kosten).

§ 12     In ein freiwerdendes Allmendlos rückt der nach dem Ortsbürgerregister nicht allmendierte Ortsbürger ein.

§ 13     Die Weiterverpachtung eines Allmendloses durch einen Ortsbürger, die nur für die Zeit bis zum Tage der nächsten allgemeinen Neuverteilung zulässig ist, kann im Wege öffentlichen Ausgebots oder aus freier Hand erfolgen. Es sollen in erster Linie Ortsangehörige berücksichtigt werden.

§ 14     Vorausverfügungen von Ortsbürgern über künftig zu erwartende Lose oder deren Ertrag sind nichtig.

§ 15     Der Allmendberechtigte hat das Los in Dung und Besserung so zu unterhalten, wie es üblich ist. Die Bäume hat er auf eigene Kosten gehörig zu stutzen, im Oktober einzubinden, vor Hasenfraß zu schützen um im Mai den Einband wieder zu entfernen. Zur Entfernung von Bäumen oder Abhauen von Ästen ist er nicht berechtigt. Das Ausputzen besorgt die Gemeinde, der auch das Abfallholz gehört

§ 16     Der Besitzer von Los Nr. 17 hat die Hälfte von den Äpfeln an den Besitzer von Los 18 abzugeben.

§ 17     Die Gemeinde ist berechtigt, dem Berechtigten sein Los zu entziehen und anderweit zu verpachten oder zu verwerten:

  1. Wenn der Berechtigte trotz schriftlicher Verwarnung gegen diese Bestimmungen des § 15 verstößt, oder das Los in anderer Weise verwahrlosen lässt bzw. in einer nach dem Ermessen der Bürgermeisterei wirtschaftlich nicht gerechtfertigten Weise nicht bestellt.
  2. Wenn der Gemeinde vollstreckbare Forderungen an einen Nutzungsberechtigten hat, deren Befriedigung aus einem Eigentum nicht zu erlangen ist.
  3. Wenn der Nutzungsberechtigte oder Angehörige, deren gegenüber er unterhaltungspflichtig ist, der Unterstützung der Gemeinde anheimfallen. Die gilt insbesondere, wenn der Berechtigte oder eines seiner Angehörigen auf Kosten der Gemeinde in einer Heil- und Pflegeanstalt verbracht wurde. In den Fällen zu 2 und 3 wird dem Berechtigten der Reingewinn nach Abzug der Forderungen, oder der Aufwendungen und der erwachsenden Kosten herausgezahlt.

§ 18     Anstelle der Entziehung und anderweitigen Verpachtung kann die Gemeinde zur Befriedigung ihrer Forderungen insbesondere wenn es sich um Steuerrückstände handelt, auch die Ernte in Anspruch zu nehmen. Sie ist zur Pfändung der Früchte nach § 810 ff ZPO berechtigt.

§ 19     Diese Satzung tritt mit dem Tage ihrer Verkündung im Kreisblatt in Kraft.

Der Gemeinderat ist mit diesen Bestimmungen einverstanden.

Der Gemeinderat: Wagner, Fegbeutel, Dietrich I, Bürner, Kadel, Mülbert, Gräber, Schmitt, Helmling, Helfert.

Kurze Zeit darauf, im Juni 1920, bat die Gemeinde den Kreisrat die neue Satzung außer Kraft zu setzen, um „die Allmenden nach den bestehenden Bestimmungen“ (gemeint ist das Gewohnheitsrecht) weiter zu verteilen. Diesem Ansinnen war jedoch kein Erfolg beschieden.

1921 beschwerte sich Lehrer Nikolaus Wagner, der am 22. 11. 1921 nach Heppenheim versetzt worden war: „Die dortige Bürgermeisterei glaubt daher das Recht zu haben, die Allmend mit Beschlag belegen zu dürfen und will den darauf wachsenden Klee versteigern.“ Kurzerhand ließ Lehrer Wagner sein inne gehabtes Allmendgrundstück durch einen Knecht abmähen. Die Gemeinde Nieder-Liebesbach verlangte für diesen Verlust wiederum 22,20 Mark Schadensersatz. Der Kreisrat in Heppenheim griff schlichtend ein: “ … und empfehlen Ihnen, den Betrag von 22,20 Mark an die Gemeinde Nieder-Liebersbach zu bezahlen Wenn auch anerkannt werden muss, dass Sie in gutem Glauben gehandelt haben, stellt das Abmähen der Allmendwiese doch eine Handlung ohne rechtlichen Grund dar.“

Dieser Vorgang zeigt, welch einen hohen Stellenwert die Vergabe der Allmend im gemeindlichen Leben spielte. Das Gesetz zur Bereinigung der Rechtsvorschriften über die Nutzungsrechte vom 18.10.1962 hebt die Nutzungsrechte ab dem 1.1.1962 auf. Damit hatte eine jahrhundertlange Tradition und Übung ein Ende gefunden.

Günter Körner  (18.12.2014)