Johann Wenicker, katholischer Lehrer in Nieder-Liebersbach

Der aus Rüdesheim stammende Lehrer Johann Wenicker war von 1887 – 1908 katholischer Lehrer an der zunächst einklassigen, späterhin an der zweiklassigen Schule in Nieder-Liebersbach. Lehrer, und das schließt evangelische Lehrer mit ein, hielten es um diese Zeit in der bitterarmen Gemeinde nie lange aus. Johann Wenicker war deshalb eine absolute Ausnahme. Ausschlaggebend hierfür war, dass er seine Frau, Agnes Emig, die Tochter eines früheren Bürgermeisters heiratete. Das Ehepaar hatte fünf Kinder: Anna Johanna Agnes Magdalena * 1888, Magdalena Katharina * 1890 (+1895),Fritz Valentin Johannes *1894, Katharina Fridolina *1899, Georg Adolf *1902.

Doch der Reihe nach. Johann Wenicker hatte seine Lehrerprüfung mit der Note „genügend“ abgelegt. Im Jahre 1882 hatte er seiner 6wöchigen Militärpflicht genügt im 4. Hessischen Infanterieregiment Nr. 118. Seine 1. Schulverwalterstelle trat er Anfang Mai 1885 in Abendheim, bei Worms an, um bereits am 1.7. des gleichen Jahres bis Ende September 1886 an der kath. Schule in Oberflörsheim in der Nähe von Worms tätig zu sein. Danach trat er seinen Dienst in Gundheim, Kreis Worms vom 1.10.1886 bis 30.4. 86 an, um danach zum 1.5.1887 nach Nieder-Liebersbach versetzt zu werden. Ganz im Gegensatz zu seiner langjährigen engagierten Lehrertätigkeit in Nieder-Liebersbach stand die Beurteilung der Kreisschulkommission Worms, wonach er in Gundheim bei der Inspektion: […] seiner Schule befunden, dass er auch hier nicht fleißig war und unter ihm die an und für sich schon geringe Schule noch schlechter geworden ist“. Die Stellungnahme des Nieder-Liebersbacher Gemeinderats vom 23.1.1888 klingt dagegen wohltuend positiv: „Wenicker hat sich das Vertrauen und die Zufriedenheit sämtlicher Ortseinwohner erworben. Da sein dienstliches und außerdienstliches Betragen nur lobenswert zu nennen ist.“ Diese Äußerung diente dem Antrag zur „definitiven“ Anstellung (= Festanstellung). Wenicker wurde im April fest angestellt.

Die Gemeinde Nieder-Liebersbach hatte unter großen finanziellen Anstrengungen 1884 ein neues Schulhaus mit zwei Lehrerwohnungen erbaut Eine davon bezog Lehrer Wenicker zum Dienstbeginn im Mai 1887 mit seiner kränkelnden Mutter. Die Familie wohnte nach der Eheschließung des Lehrers späterhin mit sieben Personen auf etwas mehr als 50 Quadratmeter in recht beengten, selbst für damalige Zeiten in fast unzumutbaren Verhältnissen. Doch dazu nachfolgend mehr.

Was bedeutete damals Schule zu halten in Nieder-Liebersbach? Anfangs hielt Lehrer Wenicker in einem Klassenraum mit über 100 Kindern sämtlicher Jahrgänge Unterricht. Nach der Schaffung der „zweiten kath. Schule im März 1888“, soll heißen nach Einführung der 2. Klasse waren es immerhin noch über 50 Schüler, die zu unterrichten waren. Über 100 Kinder bedeutenden kaum vorstellbare beengte Verhältnisse, schlechte Luft im Winterhalbjahr (für Löhrbach ist gar überliefert, dass im Winter Schüler ohnmächtig wurden) und ein kaum vorstellbarer Geräuschpegel. Dennoch stellte die Kreisschulkommission im März 1888 fest: „Er ist fleißig in der Schule und erzielt in der überfüllten, einklassigen Schule zu Nieder-Liebersbach befriedigende Resultate.“ Unter solchen Verhältnissen konnte es eigentlich gar nicht ausbleiben, dass die Nerven des Lehrers durchgingen. Und er von seinem, wie das damals formuliert wurde, Züchtigungsrecht Gebrauch machte. So beschwerte sich im März 1889 Georg Stephan, dass sein Sohn Philipp zu hart gestraft worden sei. Er habe Schläge auf die Hand und den Rücken erhalten. Die Kreisschulkommission ermahnte Wenicker, in Zukunft vorsichtiger zu sein, was er auch zu beherzigen schien.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Schilderung der damals herrschenden sozialen Verhältnisse der Familie Stephan, die Lehrer W. so beschreibt: „Zu bemerken erlaube ich mir noch, dass Stephan meistens träumend in der Schule sitzt. Interesse zeigt er keines und kann auch keines zeigen, denn es ist ferners bekannte Tatsache, dass die Eltern der beiden Schüler, als Nebengeschäft Kirchweihmusikanten (sind und) mit ihren Knaben abends oft bis 11, 12 Uhr zu Hause üben. Dass dann die Kinder am anderen Morgen müde und abgespannt zur Schule kommen und deshalb dem Unterrichte nicht folgen können, liegt auf der Hand. Ich gestatte mir deshalb Gr. R. Schulkommission ganz ergebenst zu bitten, durch irgend eine Maßregel dahin wirken zu wollen, dass den Eltern das Üben von Musik mit ihren Kindern in diesen nächtlichen Stunden untersagt werde, da ich fast gezwungen bin, den Knaben die Zeit die ihnen zur Erlernung ihrer Hausaufgaben versagt wird, in der Schule zu geben.“

Kurz zuvor war die kath. Schule wegen Diphtherie in der Familie vom 22. – 28. Januar 1889 geschlossen. An dieser Krankheit verstarben damals noch öfters Erkrankte. Eine eindringliche Situationsschilderung der Situation lautet: „Nach Anzeige ist Lehrer Wenicker zu Nieder-Liebersbach seit gestern an diphtheritischer Mandelentzündung erkrankt. Im Hinblicke darauf, dass auch Lehrer Lack zur Zeit wegen Erkrankung seiner Kinder an Diphtherie an der Schule fern gehalten ist, dürfte die Schließung der dortigen Schule eintreten, bis nach abgelaufener Krankheit in beiden Familien die vorgeschriebene Desinfektion der Krankenzimmer durch Ausschwefelung vorgenommen ist, und zwar sollen die betreffenden Zimmer beider Lehrer durch Verbrennen je ½ Kilo Stangenschwefels 4 Stunden lang ausgeschwefelt, dann gründlich ausgelüftet und Fußboden, Holzverkleidung, Türen, Fenster mit heißer Lauge oder Wasser abgewaschen werden. Die Bett- und Leibwäsche der Erkrankten soll nach Außergebrauchstellung sofort von anderer Wäsche getrennt in kochendem Wasser 1/2Stunde lang ausgekocht, dann gründlich ausgewaschen und ausgelüftet werden.“

An der Tagesordnung waren auch immer wieder Vertretungen, die meist krankheitsbedingt waren. Es kam jedoch aber auch vor, das der kath. Schulgehilfe Eckert von Birkenau zu einem 10wöchigen Militärdienst vom 20. August bis 29. Oktober 1889 einberufen wurde. Während dieser Zeit wurde diese Stelle vom ev. Nieder-Liebersbacher Lehrer und den beiden kath. Lehrer mit jeweils 6 Stunden Unterricht vertretungsweise versehen, ohne dass in N.L. auch nur eine Stunde Unterricht ausfiel. Lehrer Wenicker erhielt für diese Vertretungsstunden 340 Mark zusätzlich.

Die Lehrer hielten aber auch für die Jugend, die aus der Schule entlassen worden war, die sog. „Fortbildungsschule“. In diesem Zusammenhang entstand die Streitfrage, ob Jugendliche, die die berufsbezogene „Gewerbeschule“ in Weinheim besuchten, zusätzlich noch die Fortbildungsschule besuchen mussten. Dies wurde von der Großherzoglichen Kreisschulkommission in Heppenheim bejaht.

Ab 1897 wurden im Kreis Heppenheim Schulbibliotheken aus Mitteln der Kreiskasse eingerichtet, die für N.-L. Lehrer Wenicker betreute. Zunächst lieferte die Lehrmittelanstalt in Bensheim 40, wie es heißt „Büchlein“, darunter befanden sich Titel wie:

  • Das Geheimnis des Schreibtischs
  • Unveränderlich treu
  • Gott führt alles wohl
  • Mädchenleben
  • Pompejis letzte Tage

Also alles Schriften, die mehr oder weniger auf einen sittsamen und gottesfürchtigen Lebenswandel abzielten. Von Zeit zu Zeit gab es Ergänzungslieferungen.

Die mit entscheidende Rolle, die Wenicker beim Bau der katholische Kirche in N.-L. spielte, sei hier nur am Rande erwähnt, da diese an anderer Stelle recht ausführlich beschrieben wird. Er verfasste für das Baukomitee Bittschriften, Bettelbriefe, schrieb Begründungen usw. Vermutlich war etwa Bürgermeister Emig nicht so geübt im Formulieren von Schriftsätzen. Jedenfalls waren die gemeinsamen Bemühungen von Erfolg gekrönt, da die kath. Kirche schließlich 1896 geweiht werden konnte.

Im Haushalt der Familie Wenicker war Schmalhans Küchenmeister. Der Lehrer hatte 1891 ein jährliches Gehalt von 1000 Mark und war damit nicht gerade üppig bemessen. Wenicker stellte mehrmals Anträge um die Gewährung einer Unterstützung aus dem Provinzialschulfond, so zum Jahresbeginn 1891. Er begründete die finanzielle Notlage mit einer schweren Erkrankung seiner Frau im Wochenbett und der Erkrankung der beiden Kinder, dadurch seien „bedeutende Ausgaben von 200 Mark entstanden.“ Es wurde eine Unterstützung von 100 Mark gewährt. Ein Jahr später wiederholte sich dieser Vorgang, die Ehefrau litt an einer Augenkrankheit, die erst in der „Klinik des Herrn Geheimrates Weber in Darmstadt“ Besserung erfuhr. Es handelte sich offenbar um eine private Behandlung, die mit anderen Aufwendungen für Arznei die „Summe von 300 Mark weit überschritt“. Es wurde wiederum eine Unterstützung von 100 Mark gewährt.

1891 inserierte Lehrer Wenicker im Anzeige- und Verordnungsblatt für den Kreis Heppenheim: Einige Bienenschwärme und Ableger verkauft Lehrer Wenicker, Liebersbach. Ob dieser Anzeige Erfolg beschieden war, ist nicht bekannt.

Im Januar 1891 wurde ein Männergesangsverein gegründet, den Wenicker leitete. Um dies tun zu können, suchte er bei der Kreisschulkommission um Genehmigung nach: „Der ergebenst unterzeichnete Lehrer erlaubt sich, Großh. Kreisschulkommission Heppenheim folgendes vorzustellen: In Nieder-Liebersbach hat sich unterm 27. Januar dieses Jahres (1891) ein Männergesangsverein gebildet, der es sich zur Aufgabe gestellt, schlechte Lieder aus dem Volkmunde zu verbannen und zur Hebung eines sittlich schönen Volksgesanges das Seine beizutragen. Die Leitung dieses Vereins soll der Unterzeichnete übernehmen. Da nach Artikel 51 des Volksschulgesetzes (Amtsblatt No. 3 von 1885) hierzu die Genehmigung Gr. Kreisschulkommission eingeholt werden muss, so erlaubt er sich die ergebenste Bitte: Groß. Kreisschulkommission wolle ihm die zur Übernahme erforderliche Genehmigung erteilen.“

Dieser Bitte entsprach die Kreisschulkommission jedoch mit dem Hinweis, dass die Dirigententätigkeit keinen negativen Einfluss auf den Schulunterricht haben dürfe.

Am 15. Juli 1891 erschien ein Zeitungsbericht über das erste Konzert des Männergesangsvereins:

Gestern veranstaltete der neu gegründete Männergesangsverein Nieder-Liebersbach sein erstes Konzert im Saale des Gasthauses „Zur Krone“. Die gebotene Abendunterhaltung muss in allen ihren Teilen als gelungen bezeichnet werden und sind die sehr zahlreich Erschienenen von dem Gebotenen überrascht gewesen. Die unter der umsichtigen, tüchtigen Leitung des Dirigenten, Herrn Wenicker, vorgetragenen Chöre zeugen von guter Schulung und vom Fleiße der Mitglieder des Vereins. Das komische „Einst und jetzt“, sowie die beiden Humoresken wurden vortrefflich gespielt und erhöhten die Heiterkeit. Möge die Anerkennung, welche die Leistungen des Vereins allerseitig fanden, demselben ein neuer Sporn sein zu fernerem freudigen Wirken und Schaffen!

Ein ganz ähnlich geschriebener Artikel erschien am 27. Juni 1892.

Ein für Nieder-Liebersbach außergewöhnliches Ereignis war das Fest der Fahnenweihe am 26. Juni 1898, die der Chronist ausführlich schildert:

Am 26. Juni fand hier das Weihefest unseres Männergesangsvereins statt. Der ganze Ort prangte im festlichen Schmuck. Kein Haus fand sich, das nicht zur Ehre des Tages und zur Begrüßung der fremden Gäste sein Möglichstes aufgeboten hatte. Ein Gang durch unser Dörfchen am Samstagabend lohnte sich wirklich der Mühe, und wir hörten manchen Fremden sagen: Wir hätten nicht geglaubt, dass Liebersbach soviel aufbieten könnte. Am Samstagabend 9 Uhr fand nach dem Festgeläute ein großartiger Lampionszug durch verschiedene Straßen nach dem Festplatz statt. Die Musikkapelle Knapp leistete dabei ihr bestes und die Böller, die uns Herr Baron Wambolt in Birkenau freundlichst zur Verfügung gestellt, sandten ihre donnernden Grüße durch das Tal, in den Bergen des herrlichen Odenwaldes festlich wiederhallend. Kaum auf unserm herrlich gelegenen Festplatz angekommen, sandte uns der Himmel den noch von seinem Überfluss übrighabenden Regen und man musste in der Emig’schen Wirtschaft schützendes Obdach aufsuchen. Am Sonntagfrüh weckten die Böller die Bewohner Liebersbachs und die Festkapelle ließ ihre ergreifende Weisen und Märsche durch das sonst so stille Dörfchen ertönen. Bis 11 Uhr war das Wetter günstig – aber von 11 bis 3 Uhr floss das Wasser in Strömen. Trotz dieser ungünstigen Witterung kamen die Vereine von allen Seiten herbei, und endlich ließ der Regen nach. Um 3 Uhr konnte man die Aufstellung des Festzuges denken. Dieser bewegte sich ganz programmmäßig durch die Ortsstraßen. Nach Ankunft auf dem Festplatze (Anmerkung: =Dreschplatz, auf dem heute die ev. Kirche steht) fand die Begrüßung der fremden Vereine und der Festgäste durch den Präsidenten des Vereins, Herrn Braun statt. Er hieß alle Anwesenden namens des Vereins recht herzlich willkommen, versicherte sie, dass wie ja der Schmuck der Straßen und Häuser zeige, die Liebersbacher alles aufgeboten hätten, den Festgästen den Aufenthalt in unseren Mauern so angenehm wie nur möglich zu machen, damit der Tag ein frohes Sängerfest werde für Einheimische und Fremde und forderte die Liebersbacher zu einem dreifachen Hoch auf die auswärtigen Vereine und Gäste auf, das begeistert aufgenommen wurde. Die eigentliche Festrede hielt der Dirigent des Vereins, Herr Lehrer Wenicker, er betonnte in derselben den neutralen Boden der Gesangsvereine, die Einwirkung des Liedes auf dem Gebiet der Religiosität und der Vaterlandsliebe, den Gesang als Mitkämpfer im Streite und als Sorgenbrecher im Frieden nach des Tages Last und Arbeit, die Aufgabe der Gesangsvereine dem Zeitgeist gegenüber, das Lied als starken Mahner zur Einigkeit der Menschen; setzte die Bedeutung der Fahne und namentlich der Sängerfahne auseinander, forderte die Sänger auf, jederzeit den Gesang und die Zusammengehörigkeit zu pflegen zum Wohl des deutschen Volkes.

Das nächste Konzert des Männergesangsvereins fand erst wieder im März 1905 im Saale der Wirtschaft „Zur Krone“ statt.

Die Schülerzahlen verringerten sich von über 100 in den 1880er Jahren auf 80 im Jahre 1892, d.h. auf etwa 40 pro Schulklasse. Wenicker begründete dies damit, dass eine hohe Kindersterblichkeit herrsche und nur 2 Kinder geboren worden wären. Im Mai 1892 wurde anstatt des „Löser’schen Rechenbuchs“ das von „Niepoth-Funk“ an der katholischen Schule eingeführt. Der Verleger, Emil Roth in Gießen, machte dabei das verlockende Angebot, einen Teil der alten Bücher kostenlos gegen neue einzutauschen. So schnürte Wenicker ein Paket und schickte die alten Rechenbücher nach Gießen.

Im November 1892 beschwerten sich die kath. Lehrer wegen der für sie bislang reservierten Plätze in der Kirche zu Birkenau. Zur Beaufsichtigung der Schuljugend aus N.-L. waren im Sonntagsgottesdienst zwei Plätze für die Lehrer vorgesehen. Mit der Zeit war es ihrer Meinung nach zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Nachfolgend eine Schilderung, die heute nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik entbehrt:

„Als der Schreiber dieser Zeilen seinerzeit den Pfr. bat, er möge doch Sorge tragen, dass dieser Platz für die Lehrer frei bleibe, erklärte er, dass die Kirche in Birkenau für die Pfarrgemeinde zu klein sei und dann kommen auch noch die Löhrbacher herein, die seien müde, wenn sie kämen, und könne man ihnen nicht verwehren, wenn die etwa freie Plätze einnähmen. Seitdem nun auf der Kinscherf‘s Mühle in Birkenau die Herren Heinz und Warthorst wohnen, seit Sommer dieses Jahres, wird die Bank in der sich die Plätze der Lehrer befanden, von dieser Familie eingenommen, und wenn sie beim Erscheinen dieser Familie schon besetzt sein sollten, von dem Kirchendiener (in wessen Auftrag, weiß ich nicht) gesäubert. Außerdem übt die Pfarrköchin in die Kirche unter den Volks- und Fortbildungsschülern ein Regiment, das den Lehrern, falls er vorne anwesend sein sollte, empören muss. Kommen noch späte Kirchenbesucher, so werden die Schulkinder einfach aus den Bänken heerausgejagt, und die Plätze von diesen Gottesträudelern eingenommen. Das geschieht schon seit einiger Zeit und kann dem Pfr nicht unbekannt sein, trotzdem geschieht es ruhig weiter.“

Pfarrer Schmitt reservierte für die beiden Lehrer andere Plätze, doch die beharrten auf ihre „alten Plätze“. Pfarrer Schmitt ließ daraufhin den beiden Lehrer ausrichten, „sie möchten in der Kirche hingehen, wohin sie wollten.“

Zum Jahresanfang erkrankte die Ehefrau von Wenicker an Diphtherie. Wiederum wurde die Schule geschlossen und eine umständliche Desinfektion der Wohnung mit Stangenschwefel vorgenommen.

Im Februar 1893 stellte Lehrer Wenicker an den kath. Pfarrer in Birkenau eine Rechnung für Organistendienste, die er im April/Mai 1892 nach den Tode des Lehrers Hartleb vertretungsweise versehen hatte, Insgesamt hatte er während 22 Gottesdiensten Orgel gespielt und verlangte dafür 22 Mark, „um des lieben Friedens Willens“ erklärte er mit 16,57 Mark, die ihm der Pfarrer anbot, einverstanden.

Zur Jahresmitte 1893 beantragte Wenicker die Genehmigung einer Nebenbeschäftigung als Versicherungsagent bei der Kreisschulkommission, von der er sich eine Verbesserung der angespannten finanziellen Lage erhoffte. Er wollte als Agent für die Gladbacher Feuerversicherungsgesellschaft tätig werden, und begründete dies damit, dass Bürgermeister Emig trotz eifriger Suche keine geeignete Person in N.-L. gefunden habe. Wenicker bezog sich auch bei dieser Gelegenheit auf die bedeutenden Ausgaben, die ihm durch die Krankheit seiner Familie entstanden wären. Dieses Gesuch wurde umgehend abgelehnt.

Im November 1893 wurde die Fortbildungsschule neu organisiert. Dabei bereiteten die zeitlichen Vorgaben Probleme: „Bei Beginn der Fortbildungsschule gestern Abend ergab es sich, dass fünf hiesige Fortbildungsschüler in Weinheim beschäftigt sind und erst um 6 Uhr abends Feierabend bekommen. Diese können also unmöglich um 7 Uhr beim Beginn des Unterrichts hier sein, und so sind Störungen und Unregelmäßigkeiten unvermeidlich. Um diese zu umgehen, haben wir beschlossen, den Unterricht erst um 7 ½ Uhr beginnen und 9 ½ Uhr schließen zu lassen und erbitten hierzu die Genehmigung Großh. Kreisschulkommission.“

Ebenfalls im November wurde die Einführung der mitteleuropäischen Zeit für das Jahr 1894 angekündigt, auch hier ergaben sich Umsetzungsschwierigkeiten: „Wie es Gr. Kreisschulkommission bekannt sein dürfte, gehören die hiesigen Einwohner, sowie die von N.L. fast ausnahmslos der arbeitenden Klasse an. Die Väter und erwachsene Kinder sind in Weinheim in den Fabriken beschäftigt und erhalten täglich ihr Essen zur Mittagszeit durch die Mutter oder ihre schulpflichtigen Kinder (d.h. die Ehefrau oder die Kinder brachten das Essen mittags nach Weinheim zum Ehemann bzw. Vater). Durch die im Amtsblatte No. 6 vom 25. September dieses Jahres angeordnete Verschiebung der Unterrichtsstunden wird unseren armen Familien nicht nur kein Dienst geleistet, sondern vielmehr große Unverträglichkeiten und Entbehrungen auferlegt worden, die die Missstimmung, der ohnehin Unzufriedenen nur neue Nahrung zuführen würde. In Anbetracht dieser obwaltenden Umstände haben wir die kath. Schulvorstände von hier und Nieder-Liebersbach und auch die evangelischen fürs Beste befunden, in seitheriger Weise den Unterricht in den Schulen zu beginnen und zu schließen, zumal für die erste Stunde jeden Tages solche Lehrgegenstände angesetzt sind, die auch bis düsterer Witterung behandelt werden können. Die genannten Schulvorstände ersuchen deshalb Gr. Kreisschulkommission von einer Abänderung des Schulbeginns gefälligst abstehen und es bei der seitherigen Ordnung belassen zu wollen.“

Dieses Ansinnen lehnte die Kreisschulkommission rundweg ab, befand aber: „Sollte der betreffende Unterricht jedoch nicht auf 12 ½ Uhr ausgedehnt werden können, so wird eine Vormittagsstunde unter entsprechender Änderung des bestehenden Stundenplanes auf den Nachmittag von 3 – 4 Uhr oder auch von 3 ½ – 4 ½ Uhr zu verlegen sein.“

Im April 1894 übernahmen die beiden katholischen die Vertretung in der ev. Schule von N.-L., wobei die ev. Schüler in die Schulräume der kath. Schule besuchten.

Ab 1894 werden die Einträge, die Wenicker bislang recht ausführlich in die Schulchronik vornahm, stichwortartig. Dementsprechend nehmen auch die Informationen ab.

Im August 1895 vertraten die beiden kath. Lehrer wiederum den ev. Schullehrer Ludwig Bauer in der Art, dass die ev. Schüler zusammen mit den katholischen unterrichtet wurden. So fielen keine Schulstunden aus. Im März 1895 wurde eine Schulinspektion vorgenommen, bei der ein gutes Resultat im Beisein der Kreisschulinspektors und des Bürgermeisters Emig erzielt wurde. 1897 lässt ein Eintrag aufhorchen. Der ev. Lehrer der Georg Weis wurde nach Darsberg bei Neckkarsteinach versetzt, was Wenicker mit den Worten kommentierte: „.. in ihm verliert auch die kathol. Gemeinde einen braven, verträglichen Mitbürger, seit der Zeit seines Kommens verlor sich das in den letzten Jahren eingerissene, gespannte Verhältnis zwischen den Angehörigen der beiden Konfessionen. Herr Weis bekümmerte sich nicht um Gemeindeangelegenheiten, sondern widmete sich mit großem Eifer seiner Schule. Möge es ihm recht ergehen.“

Am 25. Oktober 1896 war die Mutter von Wenicker im Alter von 59 Jahren verstorben.

1897 wurde Lehrer Wenicker mit Zustimmung der vorgesetzten Schulbehörde zum Kirchenrechner der neu gegründeten Kirchengemeinde N.-L. ernannt.

Im Juni 1901 besichtigte der Großherzogliche Turninspektor den Turnunterricht an der kath. Schule, der wenig begeisternde Bericht lautete: „Bei Schulverwalter Ertel sind Unterricht und Leistungen kaum genügend. Befehle und Übungen sind kraftlos. Die Schüler haben weder Haltung noch Aufmerksamkeit. Bei Lehrer Wenicker sind Unterricht und Leistungen im Ganzen gut. Auf dem Schulhof dürfte sich die Anpflanzung von Bäumen empfehlen. Das Klettergerüst ist im lebensgefährlichem Zustand.“

Im Dezember 1905 äußerte sich Wenicker über seine Wohnverhältnisse:

„Der unterzeichnete Lehrer erlaubt sich zu bemerken, meine Dienstwohnung ist, wie ja schon öfters von der Behörde anerkannt wurde, sehr beschränkt. Sie besteht eigentlich nur aus 2 Zimmern. Dadurch, dass man das eine derselben durch eine Bretterwand teilte, sind deren 3 entstanden. Diese Zimmer haben zusammen einen Flächeninhalt von 52,4 qm.

Meine Familie ist 7 Köpfe stark, und mussten wir uns ungemein behelfen. Wenn man mit dieser Wohnung schon in gesunden Tagen kaum auskommen kann, so ist das bei Krankheitsfällen in der Familie, die leider bei uns vorkommen, wie unmöglich.

Durch die Versetzung des Herrn Lehrers Lang nach Sprendlingen wird nun die Wohnung desselben frei. Die Wohnung besteht aus 3 Zimmern. Jedenfalls kommt ein Schulverwalter auf die 2. Lehrerstelle, und bitte ich deshalb den Schulvorstand höflichst bei Gr. Kreisschulkommission Heppenheim beantragen zu wollen, das mir das kleine Zimmer neben meiner Wohnung, das etwa 13 qm groß ist, zum Gebrauche überlassen werde.“

Die finanzielle Lage der Familie von Wenicker war weiterhin eher betrüblich. Zum Jahresanfang beantragte er wiederum eine Beihilfe aus dem Provinzialschulfond wegen Krankheitsfällen. Ihm wurde eine Beihilfe von 150 Mark gewährt.

Im März 1906 beschwerte sich Adam Maurer wegen einer „Misshandlung seines Sohnes Franz Josef durch den Lehrer Wenicker, der dem Schüler mit einen „Spanischen Rohr auf das Gesäß und Kopf geschlagen. Doch die Vorwürfe stellen sich nach einer genaueren Untersuchung ganz anders dar. Auf dem Kopf konnte der Amtsarzt keine Spuren feststellen. Zudem hatte der Schüler offensichtlich „…unsittliche Lieder auf der Straße gesungen und seine Mitschülerinnen belästigt.“ Die Bestrafung des Schülers wurde nach Abwägung der Umstände gut geheißen.

Im November 1908 lautet ein eher beiläufig wirkender Eintrag: „Am 1. November verließ der Lehrer der 1. kath. Schulklasse, Johannes Wenicker nach 21 1/2jähriger, für die Gemeinde überaus segensreicher Wirksamkeit Nieder-Liebersbach. Er erhielt eine Lehrerstelle an der katholischen Schule zu Birkenau.“

Über die Tätigkeit des Lehrers Johannes Wenicker sind nur wenige Informationen greifbar. 1922 teilt Wenicker dem Kreisschulrat mit, dass sein Sohn Georg das Lehrerseminar in Bensheim nach bestandener Prüfung verlassen hatte und auf die Kinderzulage keinen Anspruch mehr habe. Zum 1.5.1924 wurde Wenicker nach den hessischen Personal-Abbau-Gesetz in den Ruhestand zwangsversetzt.

Lehrer Wenicker scheint erst in Birkenau bessere Lebensumstände angetroffen zu haben. Ihm war es möglich, ein Einfamilienhaus in Birkenau in der Hauptstraße 11 zu erwerben. Seinen Ruhestand konnte Johannes Wenicker bis zu seinem Ableben am 3. Januar 1951 erleben. Seine Ehefrau war bereits am 9.12.1936 verstorben.

Günter Körner (23. März 2015)