Jagd in der Gemarkung Nieder-Liebersbach

In der Vorzeit war die Jagd die Hauptnahrungsquelle des Menschen. Nach der Sesshaftmachung verlor die Jagd an Bedeutung, hatte jedoch weiter einen hohen Stellenwert wegen der erzielten Nahrung und der Gebrauchsgegenstände. Bis um 800 war die Jagd frei. Danach wurden von der Obrigkeit die Wälder zu Bannforsten erklärt und die Jagd konnte nur noch von Berechtigten ausgeübt werden. Das Jagdrecht (auch Jagdregal) wurde ab dem 16.Jahrhundert zunehmend von Landesherren verliehen.

So heißt es in einem Lehensbrief des Jahres 1547, der für die Landschad von Steinach und die die Wambolt vom Umstadt gemeinsam von Erzbischof Sebastian von Heusenstamm (1545-55) ausgestellt wurde, über den Umfang des Lehens: „Erstlich Birkenau das Dorf mit der Zent, Halsgericht, Gütern, Wald Wasser, Weiden und allen anderen In- und Zugehörden und Gerechtigkeiten und Verleihung der Pastorei und Frühmesse daselbst. Item Kallstadt, das Dorf mit Gütern, Wald, Wasser, Weiden, Gerechtigkeiten und Zugehörden. Item das dritte Teil an dem Dorf Liebersbach mit Gütern, Wald, Wasser, Weiden, Gerechtigkeiten und allen anderen In- und Zugehörden“. Aus der Formulierung „Wald, Wasser Weiden und Gerechtigkeiten“ wurde damals u. a. das Jagd- und Fischrecht abgeleitet.

Veranstalteten die Ortsherren eine Jagd, so waren die Untertanen verpflichtet, sich als Treiber und sonstiges Hilfspersonal zur Verfügung zu stehen. Die Zeugnisse in dieser Hinsicht sind für die Zent Birkenau eher spärlich. Mit einer Bittschrift aus dem Jahre 1625 verlangten die Birkenauer Einwohner, dass ihnen wieder ihre schriftlich niedergelegten Dorfrechte (auch Weistum), die marodierende Truppen vernichtet hatten, wieder verliehen werden sollten. In diesem Zusammenhang wurde eine Befragung älterer Einwohner durchgeführt, die in Bezug auf die Jagdausübung folgende Ausführungen machten: „Demnach unsere gnädige Obrigkeit das Waidwerk und Jagen nach Hasen und Rehen in unserer Gemarkung Macht haben und noch bei Manngedenken gebräuchlich gewesen, dass wenn unsere gnädigen Junker haben von alters jagen lassen, so haben sie etliche Personen bittweis, so ihnen geholfen haben, ansprechen lassen und ihnen zu Lohn oder für ihre Mühe von jedem Hasen, so gefangen worden, 1 Maß Wein, vor 1 Fuchs 2 Maß, von 1 Reh 4 Maß bezahlt. Eben gleiche Meinung und Beschaffenheit hat es auch mit dem Fischfangen in Ihro Gestrengen Bächen.“ Gleiches galt auch für Nieder-Liebersbach, das bekanntermaßen zu einem Drittel zu Birkenau und zu zwei Drittel dem Oberamt in Heppenheim zugehörig war. Wie in anderen Bereichen kam es auch bei der Jagdausübung wiederholt zu Streitereien zwischen Birkenau und Heppenheim.

Nach dem Aussterben der Ortsherrschaft von Bohn war die Familie Wambolt 1721 alleiniger Birkenauer Ortsherr geworden. Kurz danach müssen sowohl in Birkenau als auch in Nieder-Liebersbach Jagden veranstaltet worden sein, deren Berechtigung für die Gemarkung Nieder-Lieberbach vom Heppenheimer Burggrafen Schütz von Holzhausen in Abrede gestellt wurde.

Am 21. März 1721 schreibt dieser an den Freiherrn Wambolt „Hat der kurfürstliche Oberforstmeister von Späth auf mehrmaliges Anbringen des zu Ober-Liebersbach angesetzten Jägers die schriftliche Nachricht hierher gegeben, wie dass vor einiger Zeit Euer Jäger von Birkenau sich ganz neuerlich unterstünde, auf die Jagd in dem Nieder-Liebersbacher Wald und noch dazu mit Jagdhunden gegen das kurf. Verbot verstößt. Und obschon er kurf. Jäger denselben (=Birkenauer) Jäger schon verschiedene Male abgemahnt, jedoch sich unlängst derselbe wiederum angemaßt, mithin bei ferneren Verstößen denselben zu pfänden sich würde gemüßiget befinden.“ Mit ähnlich umständlichen Worten wurden Freiherr Wambolt aufgefordert, diesen vermeintlichen Unfug abzustellen. Der Birkenauer Ortsherr ließ sich von dem Jagdrecht, das seine Vorfahren auf Nieder-Liebersbacher Gemarkung innehatten, nicht abbringen, was ein erneuter Protest vom 8. Oktober 1725 belegt. Da der Schriftverkehr auf unterer Verwaltungsebene nichts fruchtete, schaltete das Oberamt Heppenheim den Landesherren in Mainz ein, der am 28. November 1725 bei Freiherrn Franz Philipp Wambolt anfragte: “ … wegen angemaßter hoher und niederer Jagdgerechtigkeit zu Liebersbach“ und verlangte innerhalb von sechs Wochen eine gut begründete Erklärung. Wambolt verwies auf den bereits zitierten Lehensbrief des Jahres 1547 und behauptete trotzig „so bleibe ich auch in meiner Position und muss mir erwiesen werden, dass bei meinen Vorfahren solche Jagd nicht vorbehalten war“. Mit diesen Argumenten gab sich der Landesherr nicht zufrieden

(„in punkto Jagens sind Fundamente von Erheblichkeit nicht gefunden worden“) und setzte eine erneute Frist bis 1.6.1726 für eine ausreichende Begründung.

Dies nahm der Freiherr Wambolt zum Anlass, gleich sechs Punkte anzuführen, bei denen seine Rechte in Nieder-Liebersbach vom Heppenheimer Burggrafen beschnitten worden waren: Jagdrecht, Fischrecht, Bestrafung von Nieder-Liebersbachern anlässlich von Gerichtstägen in Mörlenbach (= Zent- und Haingericht), Einziehung zum großen und kleinen Ausschuss (= Waffen- und Wachdienste), Verbot der Huldigung 1721 (die Nieder-Liebersbacher hatten sich nur durch Handschlag und nicht durch einen Eid dem Birkenauer Ortsherren verpflichtet),

die Einnahmen aus dem Weinschank (= Getränkesteuer) hatte das Oberamt Heppenheim an sich gezogen. Weiterer Schriftverkehr fehlt. Wie in anderen Bereichen hatte sich das Oberamt Heppenheim mit Rückendeckung des Mainzer Landesherren gegen die Birkenauer Interessen durchgesetzt. So dürften zunächst keine Jagden der Birkenauer auf Nieder-Liebersbacher Gemarkung stattgefunden haben. Von 1739 – 1747 war der Birkenauer Ortsherr Franz Philipp  Wambolt selbst zum Heppenheimer Burggrafen bestellt worden, was zumindest zur Beruhigung der Lage beigetragen haben dürfte.

1765 hatten zwei namentlich nicht bekannte Nieder-Liebersbacher Einwohner die Jagd vom Oberamt Heppenheim gepachtet. Die wamboltische Verwaltung bezweifelte, „ob dergleichen Beständer die Jagd nicht ordnungs- und jagdmäßig pflegen könnten“ und bat gegen Zahlung eines jährlichen Betrages (!) um die Jagd. Dieses Ersuchen lehnte Oberforstmeister von Hausen ab.

1805 ist nochmals von Meinungsverschiedenheiten zu hören. Freiherr Wambolt hatte sich „beigehen lassen die Koppeljagd mit Bauernschützen, Treibern und mehreren Jagdhunden zu exerzieren“. Dabei ging es nicht um die Jagdrechte überhaupt, sondern nur darum, dass „Freiherr Wambolt als Berechtigter solche Jagd nur mit einem Hühnerhund exerzieren dürfe“.

Die „Landgräflich Hessische Oberförsterei“ in Hirschhorn, Oberförster Müller, hatte diese scheinbar nicht konforme Jagdart moniert. 1808 wird genau die gleiche Beschwerde ( .. gegen landesherrliche Verordnungen), dieses Mal durch das „Hessische-Ober-Forstkolleg“ in Darmstadt laut. Diese Handhabung der Jagd wurde bei Strafandrohung untersagt, darüber hinaus sollten „diejenigen Bauern, die sich gleichwohl zu Schützen und Treibern gebrauchen lassen, zur verordnungsmäßigen Strafe herangezogen werden“.

Durch die revolutionären Ereignisse von 1848 wurde das Jagdrecht in seiner bisherigen Form abgeschafft. Von nun an stand jedem Grundbesitzer auf seinem Grund und Boden das Jagdrecht zu. Dies hatte zur Folge, dass der Wildbestand in seiner Gesamtheit akut bedroht war. Aus dieser Erfahrung heraus entwickelte sich neben dem Jagdrecht gleichrangig das Jagausübungsrecht. So wurden viele kleine Grundstücke zu einem großen Jagdbezirk zusammengefasst.

Nachstehend werden die bekannten Jagdpächter der Nieder-Liebersbacher Gemarkung bis 1945 aufgeführt:

1855-61           Hugo Gilmer vom Birkenauer Hasselhof für jährlich 41 Gulden

1861-73           Hugo Gilmer

1873- 78          Zwei Jagdbezirke

a) Nr. 1 Jakob Fritz von Mörlenbach

b) Johann Gölz I, Peter Uhl und Jakob Koob

1878-84           Adam Schaab aus Reisen für 56 Mark pro Jahr

1884-90           Wilhelm Hübsch aus Weinheim für 160 Mark jährlich

1896-1902       August Freund aus Darmstadt und Teilhaber Adam Gust und

Theodor Steiner für 265 Mark jährlich

1902-08           August Gust aus Darmstadt und ein Herr Bangert für 310 Mark jährlich

1908-14           Friedrich Hemmrich und „Konsorten“

1914-20           Amtsrichter P. Eckstein und 1 „Konsorte“ aus Darmstadt für 600 Mark j.

1920-26           Günther Dinkler aus Mannheim

1926-32           Adam Emig und „Konsorten“

1932-38           Adam Emig VI und „Konsorten“ für 605 Mark jährlich

1938-47           Adam Emig und „Konsorten“

1945 lautet ein Vermerk „Infolge der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten wurden den Jagdpächtern die Gewehre entzogen.“ Aus diesem Grunde wurden die vereinnahmten Beträge zurückgezahlt. Anzumerken ist, dass die Jagd in Nieder-Liebersbach immer unter dem Vorbehalt „ausschließlich der Enklave in Ober-Liebersbach“ verpachtet wurde. Der gesamte Jagdbezirk war 790 Morgen groß (davon die Enklave 56 Morgen). Um 1920 erscheint ein weiterer Vorbehalt, „da 6 Morgen an Graf Berkheim wegen Ausübung seiner eigenen Jagd abgegeben wurden“.

Günter Körner (16.3.2015)