Hans Kohlmann erinnert sich …

… an den Bau der ev. Kirche

Hans Kohlmann hat zu der evangelischen Kirche in Nieder-Liebersbach eine ganz besondere Beziehung, denn er hat sie zusammen mit anderen mit seinen eigenen Händen erbaut. Doch der Reihe nach. Er war als Waise von Darmstadt kommend in einer Pflegefamilie in Nieder-Liebersbach untergebracht. Es war keine einfache Zeit, so musste oft vor Schulbeginn auf dem Acker mitgeholfen werden. So lernte er alle mit der Landwirtschaft verbundenen Arbeiten kennen.

Er erlebte auch das Ende des II. Weltkrieges, die Ankunft der Amerikaner im Ort. Die Hitler-Propaganda hatte den Feind verteufelt, so hatte man oft panische Angst vor Ankunft der amerikanischen Streitkräfte. Der erste Amerikaner, der das Haus betrat, verlangte warmes Wasser, um seine Hände waschen zu können, was ihm auch gewährt wurde. Ein anderes Mal kam ein Soldat in’s Haus und verlangte Eier. Zusammen mit ihm ging Hans K. durch die Scheuer zu den Hühnernestern und hob die Eier aus. Während dessen hatte der Soldat einen Schleifstein entdeckt, spuckte auf sein Messer und fing an dieses zu schleifen. Das Nazi-Regime hatte auch verbreitet, dass Amerikaner den Deutschen für den Fall einer Niederlage mit ihrem Messer die Kehle durchschneiden würden. So hatte Hans K. große Angst, dass das jetzt geschähe. Er deutete auf das Messer, das der Soldat daraufhin gleich wegsteckte. In der Liebersbacher Schule, auch im Klassenraum, war ein Lebensmittellager untergebracht und die Amerikaner drohten, das Gebäude zu sprengen. So räumten Frauen und größere Buben die Schule rasch. U.a verteilte man diese Lebensmittel, so auch Wurst, an die Bevölkerung.

Ein Kuriosum sei noch erwähnt. Hans wurde vor der Konfirmation noch zur „Hitlerzeit“ vorgestellt, die Konfirmation selbst war, als die Amerikaner die Gegend besetzt hatten. Die Schuhe, die er zur Konfirmation trug, hatte er den Abend vorher bei Stallarbeiten benutzt. Natürlich hatte man die Schuhe für die kirchliche Feier gründlich gesäubert.

Hans K. trug sich zunächst mit dem Gedanken, in seine frühere Heimat, Darmstadt heimzukehren, um dort eine Lehre als Schlosser zu beginnen. Doch es kommt oft anders, als man sich das vorstellt. Mit 16 Jahren fing er bei der Baufirma Klein von Nieder-Liebersbach an. Die erste Arbeit war das Ziehen eines Grabens von Nieder-Lieberbach in Richtung Birkenau zur Verlegung von Rohren. Das Material hierzu lag noch da aus Zeiten vor dem Krieg. Auch durch die Aufnahme von Flüchtlingen wurde Wohnraum knapp. So baute man in gleicher und einfacher Bauweise Wohnhäuser mit einem Keller einem Stock und dem Dach. Die ersten Häuser baute man für Kriegerwitwen. Diese Bauweise setzte sich für die nächsten Jahre durch. Ein solches Haus kostete damals 16.000 Mark. Es war Arbeitskräftemangel und die heimkehrenden Männer fanden gleich Arbeit, so konnte man auch den Bau solcher Häuser realisieren. Die Backsteine lieferte oft die Bauhilfe der Firma Freudenberg in Weinheim, es waren Schlackensteine. Anfangs bestand die Baufirma Klein aus dem Chef, Heinrich Klein und Hans K. Doch wuchs die Firma rasch wieder auf 13 oder 14 Beschäftigte an. An Aufträgen herrschte kein Mangel da man gute und solide Arbeit ablieferte, was sich schnell herumsprach. So baute die Firma das Schulhaus in Nieder-Lieberbach mit den drei Lehrerwohnungen, späterhin auch das Feuerwehrhaus in Birkenau und in Nieder-Liebersbach.

Der Bauplatz der heutigen ev. Kirche war davor Dreschplatz, es war dort ein halbwegs ebener Platz, der allerdings gleich abfiel. Der Inhaber der Wirtschaft zur Krone, Dörsam, (er hatte auch eine Bäckerei und war Teilzeitbauer, man erhielt damals für einen Tag Arbeit in der Landwirtschaft 3 Mark), stellte dort seine Dreschmaschine auf. Er fuhr allerdings auch auf die größeren Bauernhöfe zum Dreschen. Bei Baubeginn der ev. Kirche musste zunächst der Platz gerade geschoben werden. Dies tat eine Firma Heckmann, die den ausgehobenen Grund zur Auffüllung des Nieder-Liebersbacher Sportplatzes verwendete, um hier eine ebene Fläche zu gewinnen. Der Bauplatz der Kirche wurde vermessen und abgesteckt. Danach gruben Freiwillige in Eigenleistung, 5 oder 6 Mann, die Fundamente aus. Der ev. Gottesdienstraum war vor dem Bau der Kirche in der Schule, davor war es die ev. Kirche in Birkenau. Oberhalb des Kirchenbauplatzes, das sollte nicht unerwähnt bleiben, kam ein Pfad von Mörlenbach, der sogenannte Kirchweg für die Mörlenbacher Katholiken. Der Bau der Kirche selbst ging zügig voran. Es fehlte lediglich noch der Turmaufbau, der von der Fa. Treiber in Birkenau hergestellt wurde. Als dieser auf einem Tieflader nach Nieder-Liebersbach gebracht wurde, wollte es der Zufall, dass direkt hinter diesem Transport der Umzugswagen des katholischen Pfarrers Pätzold fuhr. Das regte zum Schmunzeln an, der Kirchturm hatte sozusagen damit auch den Segen der katholischen Kirche. Der Kran der Baufirma Klein war zu schwach, um den Kirchturm in die Höhe zu bringen. Deshalb besorgte man sich einen Autokran, der den Turm hochhievte. Der Turm wurde mit Kupfer verkleidet, heute würde man vielleicht dafür Schiefer verwenden. Der Turm hat drei Glocken. Die kleinste Glocke stülpte Hans Kohlmann über seinen Kopf und trug diese zum Turm hoch. Ein witziger Anblick wie ein zu großer Hut, der an die Schlümpfe mit ihren übergroßen Mützen erinnert. Zur Einweihung der Kirche läuteten die Glocken der katholischen und evangelischen Kirche zusammen. Die Glocken sind dabei klanglich aufeinander abgestimmt.

Anmerkung: Vorstehende Zeilen wären ohne die Bereitschaft zu einem Gespräch am 29. Juli 2014 in Nieder-Liebersbach nicht zu Stande gekommen. Dafür bedanke ich mich bei Hans Kohlmann herzlich.

Günter Körner