Der Straßenbeleuchtungwärter

Der Straßenbeleuchtungwärter oder „es werde Licht“

Über Jahrhunderte waren die Gassen in Nieder-Liebersbach nachts stockdunkel. Für die ausreichende Sicherheit sollten, falls vorhanden, die Nachtwächter sorgen. An anderer Stelle ist zu erfahren, dass auch Nachtwächter ihre menschlichen Schwächen hatten.

Eine neue Zeitrechnung in dieser Beziehung brach für den Ort an, als am 30. April 1900 der Gemeinderat beschloss: „Wir ermächtigen den Großherzoglichen Bürgermeister dahier von der Stadt Heppenheim abzugebende Straßenlaternen, 18 Stück nebst Arm- und den nötigen Kandelaber (= mehrarmiger, säulenartiger Ständer für Straßenbeleuchtung), für die hiesige Gemeinde anzukaufen.“ Diese Neuerwerbung kostete 180,35 Mark. Die erstandenen Laternen wurden von Christian Knapp gesäubert und von Michael Hübner angestrichen. Johannes Gräber II brachte diese an. Der Schreiner Wilhelm Hübner fertigte einen Schrank zur Aufbewahrung des notwendigen Petroleums und des Zubehörs.

Die Gemeinde Nieder-Liebersbach sah sich nach einer zuverlässigen Person um, die die Petroleumfunzeln aus- und anmachte und wartete. Die Wahl fiel auf Wilhelm Gölz, der in den Unterlagen als der „Straßenbeleuchtungswärter“ oder etwas einfacher als „Laternenwärter“ bezeichnet wird. Mit ihm wurde am 1. November 1900 ein Straßenbeleuchtungsvertrag geschlossen, der lautet:

„Zwischen dem Vorstand der Gemeinde Nieder-Liebersbach und dem Wilhelm Gölz von hier wurde heute folgender Vertrag abgeschlossen:

Wilhelm Gölz übernimmt die Stelle des Straßenbeleuchtungswärters dahier und hierbei verpflichtet sich:

  1. Die vorhandenen Gemeindelaternen, sowie die noch etwa einzustellenden, sooft dies erforderlich ist, gründlich zu reinigen und derart im Stande zu halten, wie es zur ordnungsmäßigen Beleuchtung notwendig ist, zu füllen und im sauberen Zustande stets zu erhalten.
  2. Die Laternen mit Einbruch der Dunkelheit an- und bei Helle wieder auszulöschen, bei allen Verrichtungen sind möglichst jedwede Beschädigungen zu vermeiden, selbst verschuldete Beschädigungen sind von dem Übernehmer zu ersetzen.
  3. Bei hellen Nächten sind die Laternen nicht anzuzünden, in Zweifelsfällen ist Instruktion bei dem Bürgermeister einzuholen.
  4. Alles Beleuchtungsmaterial stellt die Gemeinde und sind diese Gegenstände auf der von der Bürgermeisterei bezeichneten Stelle in Empfang zu nehmen.
  5. Der Übernehmer hat bei seinen Rundgängen gelegentlich der Wartung und Überwachung der Beleuchtung zugleich den Nachtwächterdienst, soweit ihm dies möglich ist, mit zu versehen und alle von ihm entdeckt werdenden Zuwiderhandlungen gegen die polizeilichen Verordnungen zur Anzeige zu bringen. Zu diesem Zwecke soll derselbe auf den Polizeischutz verpflichtet werden.
  6. Der Vertrag beginnt heute und dauert bis nach einer jedem Teile freistehenden 1/4 jährlichen Aufkündigung, jedoch bleibt dem Bürgermeister das Recht vorbehalten, dass wenn er findet, dass bezüglich des Vertrags Zuwiderhandlungen oder Nichtbefolgung der vorgeschriebenen Bedingungen vorkommen in diesem Falle dem Übernehmer Abzüge bis zu fünf Mark je nach Ermessen des Ortsvorstandes gemacht werden.
  1. Der Übernehmer erhält von der Gemeinde eine jährliche Vergütung von 150 Mark in Worten einhundertfünfzig Mark, zahlbar in 1/4 jährlichen Raten. Für die provisorische Versehung des Dienstes vom 1. September bis 1 November d. Jahres erhält derselbe eine Vergütung von fünfundzwanzig Mark aus der Gemeindekasse.

Genehmigung dieses Vertrages durch Gr. Kreisamt bleibt vorbehalten uns sind in Differenzfällen sowohl der Gemeinderat als auch der Übernehmer an die Entscheidung Gr. Kreisamtes gebunden. Der Bürgermeister, Emig Der Übernehmer, W. Gölz“

Wilhelm Gölz hatte also das Amt des Nachtwächters, das aufgehört hatte, mit zu übernehmen.

In hellen Vollmondnächten waren die Laternen nicht anzuzünden, um Petroleum zu sparen. In Zweifelsfällen musste der Bürgermeister nachts aufstehen und entscheiden, ob es ausreichend hell war oder aber die Laternen in Betrieb genommen werden sollten.

Der Laternenwärter erhielt noch eine Leiter, auf die er stieg, um Nieder-Liebersbach zu erhellen. So verfügte Nieder-Liebersbach für 497,26 Mark über eine epochale Neuerung.

Für das Jahr 1902 lieferte Franz Schäfer 205 Liter Petroleum für 46,06 Mark. Gelegentlich wird von Reparaturen durch ortsansässigen Spengler oder Schreiner (für das Einsetzen von neuen Scheiben) berichtet. 1907 wird ein Laternenwärter Jüllich erwähnt, der allerdings schon im nächsten Jahr wieder von Wilhelm Gölz abgelöst wurde. 1908 ergab sich Notwendigkeit zum Erwerb von vier weiteren Straßenlaternen von der Stadt Viernheim.

Franz Adam und andere erwarben von der Gemeinde 1913 alte, nicht mehr benötigte Straßenlaternen. Wilhelm Gölz übte das Amt des Laternenwärters bis zur Jahresmitte 1913 aus. Nieder-Liebersbach war an das Stromnetz angeschlossen worden.

Günter Körner (8.12.2014)