Armut im 19. Jahrhundert

Vor Beginn des 19. Jahrhunderts gab es auch in Landgemeinden latente Armut, die aber in den Gemeinderechnungen kaum einen Niederschlag fand. Dies belegen etwa die Birkenauer Rechnungen, die lückenlos von 1690-1800 vorhanden sind. Seltene Einträge beziehen sich auf Wohnsitzlose, die unter mitleiderheischenden Vorwänden „für einen abgebrannten Mann“ (= dessen Haus abgebrannt ist) oder für einen „armen Krüppel“ einige Kreuzer erbettelten. Die sesshafte Bevölkerung dagegen hatte offenkundig keinen Bedarf an Unterstützung. Ein anderes Bild zeigen zahlreiche Anträge auf Bürger-, Beisassenannahme, die im freiherrlich wamboltischen Archiv aufbewahrt werden und oft von bitterer Armut berichten. Freilich scheint durch die Verwandtenhilfe oder durch Bettelei diese Not teils abgefedert worden zu sein.

Durch die starke Bevölkerungszunahme und die einsetzende Industrialisierung mit ihren Begleiterscheinungen wurden erstmals die Gemeinden im 19. Jahrhundert mit dem Erfordernis konfrontiert, unterstützend und helfend tätig zu werden. Die Nieder-Liebersbacher Gemeinderechnungen sind ab den 1830er Jahren, wenn auch nicht komplett, vorhanden. Nachstehend wird der Versuch unternommen, Armut im 19. Jahrhundert an verschiedenen Beispielen aufzuzeigen. Es keineswegs daran gedacht, dieses Thema abschließend abzuhandeln, da allein die Einträge über die getätigten Ausgaben 100 Schreibmaschinenseiten beanspruchen. Vielmehr soll versucht werden darzustellen, was Armut für die Betroffen bedeutete und mit welchen Mitteln und Maßnahmen diesem Problem versucht wurde zu begegnen.

Angemerkt sei, dass mit Zeitablauf das „Armenwesen“ die Gemeinde Nieder-Liebersbach finanziell vor immer größere Probleme stellte. Waren es etwa anfänglich Einzelfälle, dass hilfsbedürftige Personen in Pflegefamilien untergebracht wurden, so waren es gegen Ende des Jahrhunderts bis zu 10 Personen.

Zeichen der Armut

Fast stereotyp wiederholte der Nieder-Liebersbacher Gemeinderat sein Unvermögen auf Anfragen des Großherzoglichen Kreisamtes (Anschaffung von Feuerspritzen, bessere Lehrerbesoldung, Bau einer Schule u. a.) wegen Mittellosigkeit. So lautet 1873 eine Äußerung wegen der Verbesserung der kärglichen Lehrerbesoldung: „Es sind hier kaum 4 bis 5 Landwirte, welche sozusagen sich durch ihren Feldbau ernähren und versorgen können. Etliche müssen sich noch durch Tagelohn einen Nebenverdienst verschaffen. Die meisten sind bloß auf Taglöhnerarbeiten angewiesen und zum größten Teile auswärts. Kurz gesagt, die hiesige Gemeinde kann als eine der ärmsten des ganzen Landes betrachtet werden, da dieselbe weder Gemeinde- noch Privatvermögen besitzt.“ Dabei handelt es sich keineswegs um Schutzbehauptungen wie Berechnungen (nach Steuerkraft und Schuldenstand) der Regierung beim Bau der katholischen Kirche in den 1890er Jahren zeigen.

Eine Aufstellung von 103 ausgeübten Berufe von 1832 nach der Häufigkeit (in Klammer) lautet: Tagelöhner (42), Landwirte (16), Leineweber (9), im Auszug lebende Personen (5), Kurzwarenhändler (3), Wagner (2), Schuhmacher (2), Grenzaufseher (2), Schneider (2), Wirte (2), Lehrer, Maurer, Feldschütz, Seiler, Bürgermeister, Grobschmied, Müller, Glaser, Essighändler (je eine Nennung), 9 Personen ohne Angabe. Also stellen die Tagelöhner, die Leineweber und die im Auszug lebenden 56 Personen, d. h. weit über die Hälfte der Nieder-Liebersbacher Einwohnerschaft.

1830 wurden in 23 Haushaltungen fruchtlose Pfändungsversuche wegen rückständiger Abgaben erfolglos durchgeführt. Als Grund wird angegeben: „Der Gemeinde waren diese Außenstände nicht giebig zu machen, weil die Armut der hiesigen Einwohner zu groß ist und sie kaum so viel erschwingen, um notdürftig ihr Leben zu fristen, und die meisten Abgaben zu bestreiten.“ Genannt werden in diesem Zusammenhang: Leonhard Gölz, Peter Helfert, Adam Hübner, Heinrich Jeck, Johannes Jeck Witwe, Georg Jöst, Adam Klein (Leinweber), Franz Marquard, Simon Maurer (Bauer), Georg Schmitt, Leonhard Schmitt, Philipp Schuch, Johannes Stephan, Konrad von Stetten, Johann Schmitt, Johannes Haas, Philipp Jeck (Bauer), Adam Kopp, Andreas Lutz, Franz Maurer (Weber), Ulrich Schmitt, Adam Bürner und Peter Zehrbach.

Ein „Feldfrevelverzeichnis“ nennt für das Jahr 1842 83 Vergehen (Diebstahl von Feldfrüchten, unerlaubten Weiden von Ziegen u.ä.) bei 620 Einwohnern, was natürlich auch etwas mit dem „Fleiß“ des Feldschützen zu tun haben mag.

Die Funktion eines Armenhauses hatte für den Ort das Hirtenhaus, über das ein Vermerk 1832 lautet: „Das Hirtenhaus ist verliehen und wird in diesem Jahre aus dem hinteren Teil desselben nur 12 Gulden erlöst, da die Bewohner arm und alt sind und hoffen, es wird ihnen der Zins (= Miete) aus besonderer Rücksicht erlassen werden.“

Unter der Rubrik „Schulstrafen“ ist zu erfahren, dass ein häufig genannter Grund für die Abwesenheit der Schüler „Bettelei“ war, um die Familie nach Möglichkeit zu unterstützen, so ein Beispiel 1851:

„Kinder des Kaspar Scheuermann (Anna Maria, Regina, Eva Katharina, Margaretha). Diese Kinder werden auch mehr zum Bettel als Schulbesuch von ihren nachlässigen Eltern angehalten, weshalb gegen dieselben mit strengeren Maßregeln eingeschritten werden muss. Dies bleibt der Gr. Regierungskommission vorbehalten […] Überhaupt muss ich die in Nieder-Liebersbach herrschende große Armut sehr beklagen, wo die Kinder ihren Eltern teils bei ihren täglichen Verrichtungen oft helfen, teils das Brot für sich und ihre armen Eltern betteln müssen, was daher zu häufigen und unerlaubten Versäumnissen Veranlassung gibt. Die erteilten Erlaubnisse von 114 Schulkinder der katholischen Schule erreichten daher in diesem 2. Quartal die Zahl von über 400.“

Unter Schulstrafen wird 1840 erwähnt, dass die Kinder Franz und Johannes Fegbeutel oft die Schule versäumten, mit der Begründung: „ohne Anzeige von dessen Eltern hört man sagen, dass diese keine Schuhe hätten“, was den Schulbesuch im Winter unmöglich machte.

Einzelfälle

Entbindungskosten

Die Großherzogliche Bürgermeisterei Käfertal fordert von der Gemeinde Nieder-Liebersbach 1840 Entbindungskosten für Margaretha Eckert, d. h. Kosten für auswärts unterstützte Ortseinwohner waren vom Heimatort zu ersetzen: „Die Rubrikatin ist auf ihrer Durchreise hier unterm 25. v. M. (März) niedergekommen und hat sich bis heute mit ihrem Kinde im Gasthaus zur Krone hier aufgehalten und hat 16 fl 17 xr verursacht. Wir ersuchen dienstfreundlich diesen Kostenbeitrag aus dem Vermögen der Margaretha Eckert oder aber in dessen Ermangelung aus der dortigen Gemeindekasse zu erheben und hierher übersenden zu wollen.“

Beerdigung

Ende August 1836 verstarb der Ortsarme Lorenz Fath, nachdem er von Adam Schmitt vom 25. Juli – 30 August verpflegt worden war (37 Tage Pflege je 12 Kreuzer ergaben 7 Gulden 24 Kreuzer). Schreinermeister Nieberlein aus Birkenau fertigte den Sarg für 4 Gulden. Der katholische Birkenauer Pfarrer Heller und der Lehrer Degen erhielten „Beerdigungsgebühren“ 2 fl (=Gulden) 5 xr (=Kreuzer). Für Stoff zum Totenhemd erhielt Kaufmann Michael Bernhard aus Birkenau 1 fl 20 xr, das der Schneider Ulrich Schmitt für 1 fl 6 xr fertigte. Letzterer hatte für „2/4 Schoppen Öl zum Licht bei dem Verstorbenen“ geliefert.

Verpflegung Verunglückter und Hilfsloser

Leonhard Schmitt hatte als Wenigstnehmender „die Unterhaltung des verunglückten Simon Köbel“ vom 29. März – Ende 1832 übernommen. Laut Steigerungsprotokoll erhielt der „Übernehmer“ 10 xr für die Pflege, also für den genannten Zeitraum 100 fl 10 xr. Simon Köbel wurde auf Gemeindekosten auf Jahre verpflegt, um schließlich 1848 zu versterben.

1841 lautet ein Vermerk: „Indem die ortsarme Georg Gräbers Witwe, welche wegen ihrem unangenehmen Körperbau zur Verpflegung während ihrer tödlichen Krankheit niemanden als ihren Anverwandten, dem unbemittelten Bürger Georg Gräber dahier übergeben wurde, also eine Versteigerung nicht stattfand, noch mit jenem ein Akkord abgeschlossen werden konnte, und der Letzterer dieselbe vom 5.4. bis zu deren Beerdigung am 23. desselben Monats gehörig verpflegt hat, soll 54 xr erhalten. Georg Gräber erhielt weitere Zahlungen für Holz, für „Logis des Leichnams 2 1/2 Tage“, für das Abnehmen der alten Montierungsstücke (=Kleidung), den Leichnam zu waschen, Totenhemd, (7 Ellen Moslin Tuch, zehn Ellen leinerne Bendel, schwarzes Netz) und das Totenkleid anzuziehen, Pfarrer usw.

Verpflegung der Kinder des verhafteten Konrad Gölz

Konrad Gölz und Johannes Uhl aus Nieder-Liebersbach aus Nieder-Liebersbach hatten sich an den revolutionären Ereignissen 1848 in unserem Raum beteiligt, indem sie auf ein Versprechen des Reisener Bauern Nikolaus Schaab je 5 Gulden zu erhalten, eine Schiene der Bahnstrecke bei Weinheim herausgelöst hatten. Daraufhin entgleisten zwei Lokomotiven, die leer aus Heidelberg zurückgefahren waren. Beide wurden verhaftet und zu mehrjährigen Korrektionshausstrafen verurteilt, die sie in Darmstadt abzusitzen hatten.

Bereits 1849 weisen die Gemeinderechnungen Kosten für Verpflegung der Kinder des verhafteten Konrad Gölz, Johannes und Philipp, aus. Ab 28.6.1849 waren die beiden Kinder bei einem Verwandten (Philipp Gölz)  bis zum Jahresende des gleichen Jahres untergerbacht, der für die Pflege der beiden Kinder je 8 fl erhielt. Johannes Reinhard lieferte den beiden Kindern für 8 fl 25 xr Kleidungsstücke.

Ab 1850 wurde ein „Pflegekontrakt“ zwischen der Gemeinde und den Pflegeeltern abgeschlossen: „Wir Endes unterschriebene Eheleute Philipp Gölz und Christina Friedericke Gölz zu Nieder-Liebersbach versprechen hiermit, dass uns das heute übergebene Kind Philipp Gölz (10 Jahre) Sohn des inhaftierten Konrad Gölz, von uns für 8 fl 30 xr jährlich versorgt wird.“ Der Bruder, der 13jährige Johannes Gölz, wurde bei Johannes und Katharina Fath für 8 fl 55 xr untergebracht. Für dieses Kind wurde eine Schildkappe, 1 baumwollenes Halstuch, 1 kurze Hose von Baumwollstoff, 1 leinerne Hose, 2 Hanfleinen Hemden, 1 Paar Stiefel mit Nägel für insgesamt 6 fl gekauft.

Kinder wurden im allgemeinen bis zum 14. Lebensjahr, dem Zeitpunkt der Kommunion bzw. Konfirmation versorgt, um dann durch ihre Arbeitskraft den eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen.

Anzumerken sei der Vollständigkeit halber, dass die Gemeinde auch für Sachaufwendungen von Verhafteten (Kleidung Schuhe, bis hin zu Beerdigungskosten) aufzukommen hatte.

Das Schicksal der Anna Elisabetha Fleischmann

Anna Elisabetha Fleischmann war „wegen wiederholten zweck- und arbeitslosen Umherziehens“ hochschwanger in der Nähe von Reinheim im September 1862 aufgegriffen und in das dortige Bezirksgefängnis eingeliefert worden. Im Gefängnis gebar sie eine Tochter, die den Namen Anna erhielt. Für Verpflegung der Wöchnerin, die Taufe des Kindes die Erstausstattung des Kindes (Windelchen, Häubchen …) wurden entsprechende Anforderungen an die Gemeinde Nieder-Liebersbach gestellt, die für solche Aufwendungen gerade zu stehen hatte. Sterbenskrank wurde Anna Elisabetha Fleischmann von Reinheim nach Nieder-Liebersbach auf den „Schub“ gebracht, d. h. samt dem Kind wurde die bedauernswerte Frau, obwohl sie schwerkrank war, unter Bewachung zwangsweise in ihren Heimatort „verfrachtet“.

In Nieder-Liebersbach angekommen musste sich die junge Mutter selbst in Pflege bei Johannes Jeck begeben. Sie verstarb am 17.12.1762.

Sicherung einer Ausbildung

Gelegentlich sah sich die Gemeinde Nieder-Liebersbach veranlasst, einen jungen Menschen eine Ausbildung zu gewährleisten, wie im Falle von Johannes Eckert:

„Geschehen Nieder-Liebersbach, den 24.03.1864

Zwischen dem Ortsvorstande der Gemeinde Nieder-Liebersbach und Jakob Strubel von Wallstadt kam heute folgender Vertrag zu Stande:

  1. Schuhmachermeister Jakob Strubel von Wallstadt macht sich verbindlich, den Johannes Eckert, Sohn der verstorbenen Eva Elisabetha Eckert von Nieder-Liebersbach in die Lehre zu nehmen und denselben das Schuhmacher Handwerk zu erlernen.
  2. Die Lehrzeit dauert zwei Jahre. Da derselbe aber schon seit dem 1. Januar 1864 bei demselben ist, so endigt die Lehrzeit mit den 1. Januar 1866
  3. Verspricht derselbe dem Lehrjungen Kost, Logis und Wäsche zu verabreichen und zu flicken.
  4. Im Krankheitsfällen bezahlt die Gemeinde Nieder-Liebersbach Doktor und Arznei, dagegen hat der Meister die Krankenkost und Lager zu verabreichen, wenn die Krankheit nicht lange dauert.
  5. Verspricht der Lehrmeister den Jungen zu keinen dem Schuhmacher Geschäft fremden Geschäft zu verwenden.
  6. Dagegen verspricht die Gemeinde Nieder-Liebersbach als Lehrgeld die Summe von zwanzig vier Gulden, und zwar die Hälfte sogleich nach Genehmigung des Vertrags, die weitere Hälfte in einem Jahr.
  7. Sollte der Lehrjunge aus Verschulden des Meisters, wenn derselbe nicht vertragsgemäß gehalten wird, aus der Lehre treten, so kann ein entsprechender Abzug am Lehrgeld erfolgen.“

Versorgung im Alter

Ältere Personen, die „arbeitsunfähig“ waren, wurden ebenfalls in Familien, die sich offenbar auf solche Sachverhalte spezialisiert hatten, „wenigstnehmend versteigert“, wie etwa Nikolaus Heckmann:

„Zwischen dem Ortsvorstand der Gemeinde Nieder-Liebersbach und Johannes Helfert II Eheleute dahier wurde unterm heutigen (12.1.1855) folgender Akkord abgeschlossen:

  1. Johannes Helfert II Eheleute übernehmen den armen arbeitsunfähigen Nikolaus Heckmann, 82 Jahre alt, in Verpflegung und versprechen demselben in gesunden wie auch in kranken Tagen gehörige Kost, Logis und die nötigen Kleidungsstücke zu verabreichen, auch zu waschen und flicken, überhaupt, wie es einem alten Menschen gebühret, zu halten.
  2. Dagegen verspricht der Ortsvorstand auf unbestimmte Zeit von heute an, eine  jährliche Vertragssumme von 60 fl, schreibe sechzig Gulden, zahlbar aus hiesiger Gemeindekasse.
  3. Übernimmt die Gemeinde in Krankheitsfällen die Kosten des Apothekers und Arztes, und im Falle der Nikolaus Heckmann mit Tod abgehen sollte, die Beerdigungskosten.
  4. Dem Ortsvorstand bleibt die Aufhebung dieses Vertrages vorbehalten.“

Sonstige Hilfen

Nachdem beispielhaft einige Sachverhalte von Hilfeleistungen der Gemeinde Nieder-Liebersbach angeführt wurden, sollen zur Komplettierung einige sich ständig wiederholende Maßnahmen stichwortartig genannt werden.

Ärztliche Hilfe, Heildiener, Geburtshilfe und Arzneimittel: Ab etwa 1850 verzeichnen die Gemeinderechnungen Kosten für ärztliche Hilfe, meist der in Birkenau wohnenden Kreiswundärzte. Bei leichteren Erkrankungen oder etwa beim Einrenken von Armen, dem Setzen von Blutekeln kamen teils Heildiener, d. h. im 18. Jahrhundert sog. „Chirurgen“, die über Grundkenntnisse bei der Versorgung von Kranken verfügten, zum Einsatz. Die Kosten der Entbindungen „armer Frauen“ wurden an die jeweilige Gemeindehebamme aus der Gemeindekasse bezahlt. Benötigte Arzneien lieferten Apotheken aus Rimbach (Goes), Heppenheim (Werle) und Weinheim (u.a. Pfender).

Versorgung von „Blödsinnigen“, Blinden, Taubstummen und behinderter Personen. Auch solche Personen wurden meist im Ort in Pflegefamilien untergebracht (an den Wenigstnehmenden „versteigert“). Dabei wurde darauf geachtet, dass diese Behinderten im Rahmen ihrer Möglichkeiten durch einfache, zumutbare Arbeiten „nützlich“ machten.

Schwere Fälle wurden ab den 1860er Jahren in geschlossene Anstalten verbracht. So verlangte 1869 die „Großherzogliche Irrenanstalt Heppenheim für Verpflegung der geisteskranken“ Margaretha  Jeck 100 fl 14 xr für ein Jahr Unterbringung.

Zufällige Unterstützungen (= gelegentliche, bare U.) erhielten arme Gemeindsleute, die sich zwar überwiegend selbst kärglich versorgen konnten, bei Arbeitsmangel (Tagelöhner) oder Arbeitsunfähigkeit oder wegen zu geringem Einkommens („uneheliche Mütter“, Witwen, ältere kränkliche Frauen) einer vorübergehenden Unterstützung bedurften.

Übernahme der Miete. Regelmäßig erwähnen die Gemeinderechnungen Ausgaben „Mietwert der Wohnungen im Hirtenhaus“, das die Funktion eines „Armenhauses“ erfüllte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehren sich zunehmend die Fälle, wo auch „Hausmiete“ für andere Personen, die in Privatwohnungen lebten von der Gemeinde aufgebracht werden mußten.

Unterstützung von Soldaten „im Felde“ 1866 forderte beispielsweise das Kriegsministerium in Darmstadt „für hiesige im Feldzug gewesenen 12 Soldaten pro Mann“ 3 Gulden an. Diese Ausgaben wurden unter der Rubrik Armenwesen verbucht.

Auswanderung nach Amerika.  Mehrfach unterstützte die Gemeinde Auswanderungswillige. Heinrich Gölz bat am 16. Mai 1864 um eine Beihilfe, die ihm in Höhe von 20 Gulden gewährt wurde.

Kostenersatz für gewährte Hilfe

Die oben angeführten Beispiele zeigen, dass die Gemeinden mit der wachsenden  Armut mit immer neuen Aufgaben und Verpflichtungen konfrontiert wurden. Es bildeten sich allmählich Strukturen, ja die Bevölkerung wusste, dass „wenn nichts mehr ging“, war die Gemeinde gefordert einzugreifen. Freilich waren die Gewährungsvoraussetzungen für eine Hilfe der Gemeinde an einen strengen Maßstab gebunden. Genau so rigoros versuchte man zumindest einen gewissen Kostenersatz zu erhalten.

Regina Zink, eine alte Frau, war am 26. Juni 1890, nachdem sie über Jahre hinweg in Familien untergerbacht war, verstorben. Ihre gesamte Habe, ein Beispiel dafür, welchen Besitz damals eine arme alte Frau hatte, wurde versteigert. Dieser Bestand aus:

„1 Stuhl, 1 Lampe, 2 Kämme, diverses. Geschirr, ein Geldbeutel, 1 Paar Strümpfe, eine Partie alte Jacke, 1 Rock, 2 Röcke, 3 Sacktücher, 2 Kopftücher, 1 Hemd, 1 Schürze, 1 Partie alter Kleider, (noch dreimalige Nennung), 1 Hemd, 1 Bettdecke, 3 Paar Strümpfe, 2 Kopftücher, 1 Paar Schuhe, ein paar Schuhe, eine Packung Kaffe und Zucker, 1 Gebetbuch, eine Partie Knöpfe, 1 Koffer, 1 Bettdecke und Kissen, 1 Strohsack, 1 Bettlade, 1 Schüsselbrett, ein Schirm,1 Flasche, eine Partie Kartoffel“. Der Versteigerungserlös betrug 36 Gulden 90 Kreuzer.

Beschaffung von Pflanzkartoffeln für Bedürftige

Für Franz Bauer und „Konsorten“ beschloss der Nieder-Liebersbacher Gemeinderat am 6. Juni 1843 für Pflanzkartoffeln in Vorlage zu treten. Es wurden 10 3/4 Malter für über 35 fl angekauft. Die „bedrängten Ortsarmen“ sollten bis Ende August ihre Schulden zurückzahlen. Die finanzielle Lage der Gemeinde war derart, dass diese den Betrag bei der Sparkasse Heppenheim zu 4 1/2 % Zinsen selbst aufnehmen musste. Auch in den Folgejahren wurden ähnliche Aktionen in einem noch viel größeren Umfang durchgeführt.

Brot für Arme 1847 zu Vorzugspreisen

Am 29. April 1847 schloss die Gemeinde Nieder-Liebersbach mit dem Müller und Bäckermeister Nikolaus Schütz einen Vertrag, nach dem dieser aus 20 Malter Korn (von der hessischen Staatsregierung !) 1140 vierpfündige Laib Brot backen sollte. Dieses wurde an „dürftige Einwohner“ zu 16 xr pro Laib Brot abgegeben.

Günter Körner (15.12.2014)