Streik der Steinbrucharbeiter 1911

Unter Polizeischutz wurden ab Ende Oktober 1910 Steinbrucharbeiter vom Bahnhof Birkenau abgeholt und zu einem Steinbruch nach Nieder-Liebersbach geführt. Unterwegs waren diese Arbeitswilligen Beleidigungen und Drohungen Streikender ausgesetzt. Selbst während der Arbeitszeit war dauernd Gendarmerie anwesend, um evtl. Übergriffe zu verhindern. Was war passiert ?

Die Odenwälder Arbeitgeber hatten ab 24.10.1910 für das „Steinestoßen“ statt bisher in Tagelohnarbeit bei gleicher Entlohnung im Akkord verlangt. Das gleiche Ansinnen war an Steinbrucharbeiter in Sonderbach gestellt worden. Angeblich wurde diese Akkordarbeit durch einen Passus in den bestehenden Arbeitsverträgen gedeckt. Genaueres hierzu ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Acht „Steinstößer“, die Steine zur weiteren Verarbeitung zur Verfügung stellten, legten daraufhin ihre Arbeit nieder. Kurze Zeit danach wurden weitere 60 Männer entlassen, da sie mangels fehlender Steine auch nicht weiter arbeiten konnten. Hierbei handelte es sich nach damaliger Auffassung um reguläre Entlassungen und um keine Aussperrungen.

Die acht „Steinstößer“ verlangten kategorisch die Rücknahme der angeordneten Akkordarbeit, zumal „die Betriebsweise in einem Steinbruch keine Akkordarbeit gestatte“.

Ihre Arbeitskollegen in Sonderbach streikten ebenfalls. Die Streikenden erhielten vom Steinarbeiter-Verband in Leipzig, wohl eine gewerkschaftsähnliche Vereinigung, wöchentlich durchschnittlich 12 Mark Unterstützung. Pro Kind gab es eine Mark Zuschlag.

Der betroffene Arbeitgeber sann auf Abhilfe und stellte kurzfristig vermutlich arbeitswillige Italiener und Bayern ein, die wie eingangs geschildert, unter Polizeischutz im Steinbruch arbeiteten. So konnte zumindest ein Teil der regulären Belegschaft ebenfalls die Arbeit wieder aufnehmen.

In einem Bericht vermerkt die Bürgermeisterei Nieder-Liebersbach, dass es zu keinen Ausschreitungen, gemeint sind Rangeleien oder gar Schlägereien kam. Nur verbal machten die Streikenden ihrem Unmut Luft. Es kam deshalb zu zwei Strafanzeigen. Eine davon wegen Hausfriedensbruch, da ein Streikender den Steinbruch betreten hatte und mit Arbeitswilligen diskutiert hatte.

Der Streik währte gegen Jahresende 1910 bereits über zwei Monate. Die Lage der Streikenden wurde trotz der Unterstützung des Steinarbeiter-Verbandes immer prekärer. Anfang 1911 baten die Streikenden das Großherzogliche Kreisamt um Vermittlung. Nach mehreren Gesprächen wurde die Arbeit am 12. Januar 1911 wieder aufgenommen. Wie es heißt: „wurden die Forderungen der Streikenden nicht genehmigt und der Tarif über das Steinestoßen, sowie die bisherigen Bestimmungen nicht geändert“. Vermutlich wurde der Arbeitsvertrag in Nuancen anders ausgelegt. So nahm der Streik der „Steinstößer“ von Nieder-Liebesbach ein Ende. Ähnliche Vorkommnisse sind für die Folgezeit nicht überliefert.

Günter Körner (26.1.2015)