Die Kapelle in Nieder-Liebersbach

Die Kapelle in Nieder-Liebersbach wurde mit einiger Sicherheit in den Jahren 1739-47 erbaut. Damals versuchte das Oberamt in Heppenheim dem katholischen Glauben im Ort mehr Geltung zu verschaffen. Franz Philipp Wambolt war in Personalunion Burggraf von Starkenburg, Birkenauer Ortsherr und dazu katholischen Glaubens. Unter diesen Voraussetzungen unterstützte er die Katholiken von Nieder-Liebersbach bei ihren Bestrebungen, eine eigene Kapelle zu erbauen.

Bauherr war die Gemeinde Nieder-Liebersbach, die die erforderlichen Mittel im Umlageverfahren von den katholischen Einwohnern erhob. Die Lage des Platzes der Kapelle ist dank der mündlichen Überlieferung und von vorhandenen Lageplänen zweifelsfrei feststellbar. Das bescheidene Bauwerk mit Maßen von etwa 4 auf 6 Meter stand auf dem heutigen Grundstück der Familie Molitor in Verlängerung der Garage direkt an der Balzenbacher Straße. Nach Auskunft des Nachbarn, Herrn Fritz Kadel, stand die Kapelle etwa einen Meter auch auf seinem Grundstück, da man beim Nachgraben große Steine finde, die ehemals als Fundament dienten.

Über das Aussehen dieser kleinen Kapelle, die für Nieder-Liebersbach wegen der sonst fast fehlenden historischen Bausubstanz doch von einiger Bedeutung war, gibt es keine zuverlässige Überlieferung. Hier helfen Pläne einer Kapelle in Unter-Absteinach weiter. Diese Kapelle dürfte ebenfalls gegen Mitte des 18. Jahrhunderts erbaut worden sein, um dann im Jahre 1897 abgerissen zu werden. Der Plan zeigt fast gleiche Dimensionen, wie der Bau in Nieder-Liebersbach: eine etwa 25 Quadratmeter große Grundfläche, eine kleine Apsis und ein mit der Balkenkonstruktion des Daches verbundener Glockenstuhl.

Die bisherige Überlieferung beschränkt sich meist auf die Anmerkung, dass die Kapelle so morsch und baufällig war, dass der Küster ein Loch durch die Tür (oder Mauerwerk) bohrte, das Glockenseil durchzog und von außen läutete. Tatsächlich kommentiert der katholische Birkenauer Pfarrer Franz Jakob Bauer 1813: „Auf der Filiale Nieder-Liebersbach ist eine Kapelle mit einem Glöckchen. Ich habe voriges Jahr schon bemerkt, dass sie mehr zur Entehrung Gottes dient. Es ist auch vom Großherzoglichen Justizbeamten in Wald-Michelbach die Renovation dieser Gemeinde auferlegt worden, aber bis jetzt noch nicht geschehen.“

Die vorhandenen Gemeinderechnungen belegen jedoch, dass in der Folgezeit immer wieder notwendige Reparaturen durchgeführt wurden, so etwa 1850. Adam Emig lieferte für die Kapelle „75 Stück Ziegel, drei Hohlziegel und 210 Backsteine“. Außerdem fanden noch 575 Bordnägel, 1000 Stück Schindeln und 40 Quadratschuh Bord Verwendung. Johann Gölz II war in der Hauptsache mit der Durchführung der Arbeiten betraut. Seinen Aufwand beschreibt er so: „Auf dem Dach die Hohlkehl mit Ziegel und Sprieß ausgebessert in die beiden Seiten ebenfalls fehlende Ziegel und Schindel eingesteckt, die Giebel eingesprißt, desgleichen die Wände und neue Gefache eingemacht, sowohl in der Decke oben, als neben in die Seitenwände ausgebessert, den Fußboden mit Backsteinen reguliert und im Ganzen 4 Arbeitstage gearbeitet.“ 1851 wurde ein „Vorbetstuhl“ für zwei Gulden erworben.

In unregelmäßigen Abständen wurde die Kapelle verputzt „inwendig ausgeweist“, die zwei Fenster oder Tür gestrichen, eine Scheibe ersetzt oder auch einmal ein neues Glockenseil gekauft. Es kann also keine Rede davon sein, dass permanent ein baufälliger Zustand gegeben war.

Die Katholiken wurden von einer „87 Pfund schweren metallenen Glocke (1840)“ an anderer Stelle heißt es „von einer 131 Pfund schweren Metallglocke (1867)“ in das kleine Kirchlein zum Beten gerufen. 1813 ist von „Betstunden an Sonn- und Festtagsabenden“ (ohne Ausgabe der Kommunion) die Rede. Zweimal im Jahr wurde ein Wendelinus- und Johannisamt durch den kath. Birkenauer Pfarrer gehalten, der dafür von der Gemeinde eine kleine Aufwandsentschädigung von jeweils 1 Gulden 9 Kreuzer (späterhin 2,74 Mark) erhielt.

Es ist verwunderlich, dass diese Kapelle bis in die 1890er Jahre ausreichte, die Gläubigen aufzunehmen, die nur dicht gedrängt den Betstunden oder Gottesdiensten beiwohnen konnten. Mit dem Bau der katholischen Kirche war der Erhalt der Kapelle lediglich nur noch ein vermeidbarer Kostenfaktor. Sie wurde auf Abbruch versteigert. Adam Jeck V brach 1897 die Kapelle für 19 Mark ab. Das aus dem Abbruch noch verwendbare Baumaterial wurde für 130,40 Mark an Interessenten abgegeben.

Das einzige Erinnerungsstück aus der früheren Kapelle ist ein einfach geschnitzter heiliger Wendelinus in Odenwälder Tracht, der 1797 von der Familie des damaligen Schultheißen Johann Adam Schmitt gestiftet wurde.

Günter Körner (11.2.2015)