Geschichten von Frau Pfisterer

Geschichten von Frau Erika Pfisterer, geb. Hoffmann

Als 11jähriges Mädchen kam ich im März 1946 auf einem offenen Lastwagen nach Nd.-Liebersbach. Unter der Linde wurden wir ausgeladen, meine Familie, meine Verwandten und andere Schicksalsgefährten. Keine Männer, nur Frauen und Kinder.  Wir saßen auf unseren Habseligkeiten und wurden von den hinzukommenden Einheimischen bestaunt.

Es gab keine Wohnungen, denn Nd.-Liebersbach war voller „ausgebombter Menschen“, die aus Mannheim, Ludwigshafen und Umgebung stammten. Die einheimische Bevölkerung war aufgerufen zu helfen, so gut es ging. Man sollte sich Kinder aussuchen, die man in der eigenen Familie unterbringen konnte. Meine Mutter weinte, sie mußte sich notgedrungen von 4 Kindern trennen, nur der Jüngste dufte bei ihr bleiben.

Während meine Mutter verzweifelt weinte, kam ein Mann auf sie zu, der sagte: Frau Hoffmann, wie kommen Sie hierher?

Es war Hans Treiber. Er war im Krieg Sanitäter. In meiner Heimatstadt Weidenau/Sudetenland gab es ein Priesterseminar, das im Krieg zum Lazarett umfunktioniert worden war. Dort arbeitete Hans Treiber aus Oberliebersbach und trank abends bei uns – meine Eltern hatten einen Gasthof – sein Bierchen. Wir waren Heimatvertriebene und nur er konnte ermessen, was wir verloren hatten.

Die Wohnungsnot im Dorf war groß. Wir waren erst der 1. Transport, nach uns kamen noch einige und all die Menschen mußten untergebracht werden. Keiner der Einheimischen durfte mehr allein über sein Haus verfügen. Jeder hatte nur Anspruch auf ein paar Quadratmeter. Es mußte gemeinsam gekocht werden, kaum ein Haus hatte 2 Küchen. Alle mußten mit den zugeteilten Lebensmitteln auskommen. Die Liebersbacher teilten, so gut es ging mit uns ihre Vorräte.

Wir Kinder hatten ganz schnell Freunde und gingen mit ihnen in die Schule. Die Schule hatte 2 Räume. 1-4. Klasse und 5. bis 8.Kl. Wir lernten schnell den Liebersbacher Dialekt.

Nach langen Wochen und Monaten konnten die ersten Mannheimer in ihre Stadt zurück, Meine Mutter war beim Bauer Kadel untergekommen. Dort war jetzt 1 Schlafzimmer und ein anderes kl. Zimmer, das unsere Küche wurde, frei geworden. So konnten meine kleine Schwester und ich zu unserer Mutter ziehen. Meine beiden älteren Schwestern mußten bei Bauern arbeiten und wohnen.


Sehr ergreifend war die Zeit, als Kriegsgefangene wieder heimkehrten oder wie es uns gegangen ist – mein Vater hat nach der Flucht aus der tschechischen Gefangenschaft  über Suchdienste uns wiedergefunden. Wenn ein Heimkehrer, schwach u. ausgehungert auf der Landstrasse auftauchte, kaum dass er sich auf den Beinen halten konnte (es gab keinen Bus, kein Auto oder sonstige Fahrgelegenheit – begleiteten ihn die Leute aus dem ganzen Dorf mit großer Aufregung bis ihn seine Familie wieder in die Arme nehmen konnte. Es kamen nur wenige zurück!


Es war noch die Zeit der Nöte. Die Lebensmittelkarten teilten der Bevölkerung nur das Nötigste zu. Wir hatten alle Untergewicht, daher gab es zu dieser Zeit eine zusätzliche Kalorienzufuhr, das war die Schulspeisung. Die Lebensmittel kamen aus Amerika meist in Pulverform und eine Frau aus Nd.-Liebersbach kochte im Schulkeller den Brei für die Schüler.


Amerikanische Schüler schickten an deutsche Schulen Pakete mit leichten Sportartikel wie Bälle und Federballspiele. Eines dieser Päckchen fand den Weg nach Nd.Liebersbach. Wir fühlten uns reich beschenkt! Davon gibt es auch ein Foto.


Kulturell gab es auch Anstrengungen. Leider habe ich nur 1 Foto von einer Schüler-Theateraufführung: Zigeunerzauber. Wir haben mit Begeisterung Theater gespielt, an ein Krippenspiel in der katholischen Kirche erinnere ich mich noch gut. Leider gibt es davon keine Bilder.