Mündliche Überlieferungen

Die List

Nieder-Liebersbach ca. 1920 in der Hauptstraße (heute Liebersbacher Str.)

Die jungen Eheleute  waren schon ein paar Jahre verheiratet. Jedes Jahr war es das Gleiche, am Weihnachtsabend waren alle Plätzchen, die für diesen Anlass gebacken waren und die im Jahreskalender etwas ganz besonderes darstellten, bereits vom Hausherrn aufgegessen. Und das obwohl sie von der Ehefrau gut versteckt wurden. In diesen Zeiten wurde nichts nachgebacken, weil es ganz einfach zu kostspielig war, die Zutaten für das Gebäck ein zweites Mal aufzuwenden.

Alle Beteuerungen der Ehefrau an ihren Mann, die ‚Woinachtsgudsl‘, die in der Regel am Anfang der Adventszeit gebacken wurden, um noch ein paar Wochen schön mürbe zu werden, nicht anzurühren waren ergebnislos. Jedes Jahr am Weihnachtsabend war gähnende Leere in der Gebäckschüssel.

In diesem Jahr ging die Ehefrau zum Schutz der ‚Gudsl‘ ganz anders an die Sache heran. Sie ersann eine List. Damals war es üblich, Lebensmittel zum Trocknen und Haltbarmachen im Haus oder in den Nebengebäuden aufzuhängen. Im Schlafzimmer verlief quer über dem Ehebett ein dicker Balken. An diesen Balken, direkt über der Nase des Hausherrn, wurde das Weihnachtsgebäck in einem kleinen Säckchen aufgehängt.

Der ‚Gudsldeller‘ war an diesem Weihnachtsfest reichhaltig gefüllt und alle in der Familie hatten ihre Freude. Der Hausherr konnte nicht fassen, dieses Versteck nicht erkannt zu haben.


Weihnachtsbäckerei

Sulzbacher Str./Hinnergass ca. 1939

Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit wurden auch im Hause des Metzgermeisters Schmitt in der Hinnergass Plätzchen gebacken. Für die Kinder war das natürlich eine große Freude und eine noch größere Verlockung dieses Gebäck schon mal zu „probieren“. In der damaligen Zeit war das Angebot an Süßigkeiten bei weitem nicht so gegeben wie in den heutigen Tagen. Süßes Gebäck gab es nur an ganz besonderen Tagen. Meistens war dann der Heißhunger darauf nicht mehr zu bremsen.

Die beiden Töchter Irma und Gretel befolgten gehorsam den Wunsch der Mutter, das Gebäck nicht anzurühren. Nicht so Bruder Franz. Wurden die ‚Woinachtsgudsl‘ gefunden, die von der Mutter gut versteckt wurden, konnte es sein, dass Franz bis zum Weihnachtsabend nur mit größter Anstrengung einen spärlichen Rest übrig ließ. In diesem Jahr hatte die Mutter jedoch eine sehr gute Idee. Sie erinnerte sich, dass die Schwägerin im Nachbarhaus einen abschließbaren Schrank besaß. Also wurden die gebackenen Plätzchen im Nachbarhaus im Schrank mit Schlüssel aufbewahrt.

Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass dies doch keine gute Entscheidung war. Im Nachbarhaus gab es nämlich sechs Kinder, davon vier Buben: Franz, Walter, Hans und Karl.

Und so war es eigentlich nicht verwunderlich, dass auch an diesem Weihnachtsfest der ‚Gudsldeller‘ im Hause des Metzgermeisters leer blieb.

Christine Dietrich, Januar 2015


Erziehungsmaßnahmen

Ort des Geschehens > altes Schulhäuschen in der Hinnergass (Sulzbacher Str.)auch Spatze Heisel genannt.

Zeit ca. 1925

Jakob war ein kleiner Junge, der den Schulweg gerne mit Hanna seiner Klassenkameradin ging. Manchmal dauerte das auch etwas länger, weil die beiden gerne ins Trödeln kamen. Es ergab sich halt so – obwohl Jakob eigentlich nicht gerne zu spät kam. Aber an diesem Tag war es leider doch wieder etwas spät geworden. Jakob und Hanna gingen an ihre Plätze, als der Lehrer anfing ein Lied vor sich hin zu summen: „Wo bleibt dann nur des Jakob‘sche, wo bleibt dann nur des Jakob‘sche“. Das ging dem kleinen Jakob aber zu weit. Er ging nach vorne zum Lehrerpult und zog seinen Lehrer am Ohr. Dazu muss man sagen, dass zu dieser Zeit ungebührliches Verhalten im Klassenzimmer gerne mit ‚Ohren lang ziehen‘ bestraft wurde. Dies aber natürlich nur von Lehrer zu Schüler und nie umgekehrt. Der Lehrer nahm das Klassenbuch vor das Gesicht um nicht zeigen zu müssen, dass diese Situation für ihn doch recht amüsant war. Welches ‚Nachspiel‘ sich für den kleinen Jakob ergab ist nicht bekannt.


Die neue Lehrerin

Ort des Geschehens > altes Schulhäuschen in der Hinnergass (Sulzbacher Str.) auch Spatze Heisel genannt.

Zeit ca. 1934

Es war der erste Tag der Einschulung für den kleinen Karl. Er war ein aufgeweckter, emotionaler kleiner Kerl. Auch eine neue Lehrerin hatte an diesem Tag ihren ersten Schultag in Nieder-Liebersbach – Frau Beickler. Als die Lehrerin das Klassenzimmer betrat, rief ihr Karl entgegen: „Woher kimmschden Du?“. Die Lehrerin ging erhobenen Hauptes weiter zum Pult, ohne zu antworten. Das ließ der kleine Karl so nicht stehen, er wollte es einfach wissen und legte nach: „Gell Du kimmschd vunn Woinem“.


Hochdeutsche Sprache – schwere Sprache

Ort des Geschehens > Schule in NL (ehemaliges Rathaus)

Zeit in den 40iger Jahren des letzten Jahrhunderts (ca. 1937)

Zur damaligen Zeit wurden die Liebersbacher noch nicht so sehr mit der hochdeutschen Sprache und Grammatik konfrontiert. Radio wurde spärlich gehört, Fernsehen gab es noch nicht. Die Umgangssprache von früh bis spät war ‚ourewällisch‘. In der Schule sollte jedoch ein gehobenes Niveau gelten, und die Kinder wurden angehalten, in der hochdeutschen Sprache zu fragen und zu antworten.

Die Schüler saßen beim Unterricht in ihrem Klassenraum an ihren Pulten. Plötzlich ein Aufschrei – „Au“!

Lehrer Kadel ärgerlich: “Karl warum schreist Du?” Karl steht auf: „Herr Lehrer – ich bin die Bank da anden gefahren, und dann ist mir ein Schliffen (=Holzspan) in die Hand gegangen“.


Das Morgengebet

Ort des Geschehens < Schule NL (ehemaliges  Rathaus)

Zeit ca. 1938

Zu dieser Zeit war es noch üblich, dass zu Beginn des Unterrichts ein Gebet gesprochen wurde. Hans war ein ruhiger Junge, manchmal auch etwas verträumt. Die Schüler versammelten sich am Morgen wie jeden Tag vor der Schule, um dann gemeinsam in das Klassenzimmer zu gehen. Die Kinder stellten sich an ihre Plätze – bereit zum Morgengebet, als guten Einstand in den Tag. Lehrer Kadel sagte an diesem Morgen – „Hans  bete Du“. Hans erschrocken und immer noch etwas schlaftrunken fängt an: „Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Augen zu ……..“- anstatt ‚fröhlich bin ich aufgewacht……‘.

Christine Dietrich, November 2014