Geschichte der Edelbrennerei Mück- lebendig erzählt von Reinhard Mück

Geschichte der Edelbrennerei Mück- lebendig erzählt von Reinhard Mück

Es war im Frühling des Jahres 1985, als Hugo Mück kurzfristig den Entschluss fasste, sein eigenes Brennerei – Unternehmen zu gründen. Vorausgegangen war der Verlust der Destillerie Horst Bender in Mannheim – Neuherrnsheim bereits im Jahre 1981, deren Inhaber bisher die Mück`schen Maischen destillierte, und dies aufgrund einer schweren Erkrankung nicht mehr tun konnte.

Brennerei 2016

Brennerei: Bild aus dem Jahre 2016

Zum damaligen Zeitpunkt gab es im Süden und Südwesten der Bundesrepublik Deutschland noch ca. 33.000 sogenannte Abfindungsbrennereien, die zu einem vom Staate vergünstigten Steuersatz heimische Obststoffe aus Kern- und Steinobst sowie Beerenfrüchten, aus Weintrauben und Rückständen der Weinbereitung (Trester und Hefen), aus Wurzeln, Topinamburen und in einigen wenigen Fällen auch Getreidearten verarbeiten durften. Damals – und rechtsgültig bis zum Ende des Branntweinmonopols am 31.12. 2017 – durften nur in den Bundesländern Bayern, Baden – Württemberg, Rheinland – Pfalz, Saarland und in Teilen Hessens Kleinbrennereien betrieben werden. Der Rest der Republik war von dieser Regelung ausgeschlossen, was erst mit der Einführung des Alkoholsteuergesetzes zum 01.01. 2018 geändert wurde. Jetzt ist auch beispielsweise in NRW der Betrieb einer Kleinbrennerei möglich. Es wieherte der Amtsschimmel.

Die gebäudetechnischen Voraussetzungen für die Installation einer Destillationsanlage waren gegeben. Die alte Küferei in der Liebersbacher Str. Nr. 71, in der Hugo Mück und mein Großvater Franz Mück Holzfässer für die Apfelweinlagerung herstellten oder reparierten, wurde umgebaut und mit den erforderlichen Anschlüssen versehen.

Zuvor hatte man bei der zuständigen Aufsichtsbehörde – dem Hauptzollamt in Darmstadt – das sogenannte Brennrecht beantragt. Auf die telefonische Anfrage meines Vaters hin hat es sage und schreibe nur eine halbe Stunde gedauert, bis der zuständige Ressortleiter ebenfalls telefonisch die Vorabzusage schon einmal erteilte. Das soll heute mal einer nachmachen. Die umfangreichen amtlichen Vordrucke wurden wenig später durch Aufsichtsbeamte des Hauptzollamtes eingeholt. Der Grund für dieses unbürokratische Handling war die Tatsache, dass die sog. Branntweinsteuer zu Zeiten des Branntweinmonopolgesetzes eine reine Landessteuer war. Sie fiel dem Bundesland zu, in dem die Rohstoffe gebrannt worden sind und nicht jenem Land, aus dem die Rohstoffe stammten. Den wachsamen Beamten im hessischen Finanzministerium in Wiesbaden war es nämlich nicht entgangen, dass viele südhessische Stoffbesitzer mangels hessischer Brennereibetriebe in das Nordbadische wanderten, und dort in ländergrenznahen Betrieben ihre Rohstoffe abdestillieren ließen. Die Steuern aus diesen Prozessen fielen dann dem Lande Baden–Württemberg zu und nicht dem Lande Hessen. Und deshalb hat man beginnend mit der Liebersbacher Brennerei in den darauffolgenden ca. 10 Jahren noch weitere fünf Betriebe in Südhessen installieren lassen, immer verbunden mit dem Ziele, die Abwanderung von Branntweinsteuer nach Baden – Württemberg zu unterbinden.

Nach Erledigung aller Formalitäten hat mein Vater im Spätsommer 1985 unsere erste Destillationsanlage am Bodensee aus der Kupferschmiede Arnold Holstein – Markdorf – geordert, dazu eine Maischepumpe, einen Branntweinfilter, vieles labormäßige Kleingerät sowie eine stattliche Anzahl von Gärbehältern. Und bereits am 18.09. 1985 lief der erste Obstbrand aus dem Kühler des Brenngerätes in das vorgesehene Auffanggefäß. Übrigens – diese Anlage verrichtet heute noch immer zuverlässig ihre Dienste, und zwar in Mühltal bei Darmstadt auf dem dortigen Obsthof Muth.

Das Hauptzollamt in Darmstadt hatte meinem Vater lediglich ein Brennrecht verliehen, das es erlaubte, nur 50 Liter reinen Alkohols in einem Betriebsjahr herzustellen. Das sind etwa 180 – 200 Flaschen Destillat in der Halbliterflasche – vollkommen unwirtschaftlich und bei weitem nicht ausreichend für eine erfolgreiche Selbstvermarktung.

So war es für uns ein Glücksfall, als im Jahre 1991 die Familie Trinkhaus aus Brensbach im Odenwald ihr Brennrecht abgeben wollte, das ein ungleich höheres Vermarktungskontingent beinhaltete – nämlich 6-mal so hoch. Das war schon einmal eine andere Hausnummer. Das Problem dabei war, das außer der Familie Mück noch zwei weitere Interessenten um die Gunst des Zuschlages feilschten. Dies waren das Brauhaus Schmucker aus Beerfelden sowie die Brennerei Göbel mit Betriebssitz in Reinheim. An diesem Punkt kam meine Wenigkeit ins Spiel. Als ehemaliger Sachbearbeiter für Fälle der Zahlungsunfähigkeit bei Beitragszahlern einer großen deutschen Krankenkasse waren schwierige Verhandlungen mein Alltagsgeschäft. Innerhalb von 24 Stunden war ich mit dem alten Trinkhaus und seiner Frau über den Kaufpreis einig. Sehr wichtig bei der Verhandlungsführung war, dass man die Trinkgewohnheiten des Herrn Trinkhaus zu würdigen wusste, denn er machte seinem Namen alle Ehre und kam eben aus einem Hause, in dem viel getrunken wurde. Seine Frau war die Hüterin (so glaubte sie es jedenfalls) über die örtlich vorhandenen Destillate und Liköre. Tagsüber erlaubte sie es ihrem Manne in gewissen Abständen, einen sogenannten „Einstöckigen“ (die üblichen 2 cl) zu trinken. Wenn sie dann am späten Abend die Feststellung traf, das ihr Ehemann tagsüber eine braver Bube geblieben war, dann bekam er als Betthupferl auch noch einen „Zweistöckigen“ (also 4 cl) eingeschenkt. Bei der Verhandlungsführung merkte ich jedoch, das immer dann, wenn Frau Trinkhaus das Wohnzimmer verließ, um in der Küche einen Kaffee zu kochen und um Kuchen herzurichten, er sich blitzschnell und von ihr unbemerkt auch mal einen „Sechsstöckigen“  gönnte. Bei meiner Beobachtung war das eine Biertulpe voll mit Odenwälder Kirschwasser im Hause Trinkhaus hergestellt. Und dies konnte er aus zeitlichen Gründen nicht genießen, sondern er musste es, um nicht entdeckt zu werden, mal ganz schnell „abpumpen“ wie man dies in vulgärem Deutsch mal gerne so sagt. Meine Feststellungen mussten natürlich vollkommen geheim bleiben, damit Eheglück und Hausfrieden gewahrt worden sind. Und trotz dieses nicht unerheblichen Alkoholkonsums bewahrte der 78-jährige Trinkhaus stets die Contenance, stand kerzengerade wie eine deutsche Eiche und blieb auch stets ein angenehmer Verhandlungsführer.

Nach Genehmigung des Kaufvertrages durch das Hauptzollamt in Darmstadt wurde das Trinkhaus`sche  Brennrecht von Brensbach nach Nieder-Liebersbach übertragen, womit hier dann die Voraussetzungen für eine umfangreichere Selbstvermarktung gegeben waren.

Ausgangs Winter 1994 entschloss ich mich, einen umfangreichen Wochenlehrgang in der Lehrbrennerei der Universität Hohenheim bei Stuttgart zu absolvieren. Zusammen mit 25 Kolleginnen und Berufskollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde intensiv (von morgens 08:00 Uhr bis abends 20:00 Uhr) an den Problemfeldern der Getreide- und Obstbrennerei in Theorie und Praxis gearbeitet. Die sich daran anschließenden Fachgespräche im Kreise der Kolleginnen und Kollegen hat man bis weit nach Mitternacht in der Studentenkneipe „Garbe“ – direkt an der Uni gelegen – geführt. Das war besser als jedes Lehrbuch und jeder theoretische Vortrag. Und für den betrieblichen Alltag hat die Woche in Hohenheim sehr viel Revolutionäres geboten. Eine Kultur des „Edlen Brandes“ war geboren worden und es galt von nun an, dies im heimischen Betrieb zu leben und zu verkörpern. Destillate jeglicher Art waren jetzt keine „Verdauerle“ mehr, keine Skipisten – Willis, keine Magenwärmer und vor allem kein Rauschmittel. Ab sofort lautete die Devise „weniger trinken, dafür aber besser“. Und das ging natürlich so richtig an das fachlich Eingemachte.

Wie die mit Abstand meisten seiner Generation konnte und wollte mein Vater, Hugo Mück, es nicht mehr verstehen, was sein Sohnemann da so alles in seiner Brennerei veranstaltete. Auch ein Großteil unserer damaligen Kundschaft rieb sich mehr als verwundert die Augen. Und selbst der große Durchbruchserfolg unserer Brennerei bei der DLG – Prämierung für Spirituosen im Jahre 1998, wo wir Deutschlands besten Kleinbrennerkorn angestellt hatten (Ergebnis des Wochenkurses in Hohenheim) überzeugte den Puristen Hugo Mück nicht. Da Kompromissbereitschaft auch keinesfalls zu meinen persönlichen Stärken zählt, kam es dann so wie es kommen musste. Für mich war es einfach zu faszinierend, was ich in Hohenheim lernte. Und unzählige weitere Fortbildungsmaßnahmen im Anschluss daran bekräftigten meine gewonnene Erkenntnis. In der Kleinbrenner – Branche hat nur der noch Zukunft, der ohne Wenn und Aber Qualität in die Flasche bringt.

Zwischen meinem Vater und mir kam es zum fachlichen Zerwürfnis. Da viele Köche bekanntlich den Brei verderben verließ Hugo Mück im Jahre 2001 seine Brennerei und übergab die Geschicke uneingeschränkt an mich. Es kam hinzu, dass der damals 72-jährige ohnehin durch körperlichen Verschleiß gezeichnet war und die vielen Auseinandersetzungen mit mir hatten erheblich an seinem Nervenkostüm gezehrt. Rückblickend hat sich meine kompromisslose Haltung bestätigt – der Betriebsbestand an aktiven Kleinbrennereien ging vom Zeitpunkt unserer Betriebsgründung von ca. 33.000 Betrieben (in 5 Bundesländern) auf 11.176 (Stand 31.12. 2022 – Quelle: Bundesverband der Deutschen Klein- und Obstbrenner) zurück. Und das, obwohl jetzt das Kleinbrennen bundesweit möglich ist.

Im Spätsommer des Jahres 1997 wurde unsere erste Destillationsanlage gegen ein neues Gerät ausgetauscht (ebenfalls ein Ergebnis des Uni-Besuches). Lieferant war wiederum die Kupferschmiede Arnold Holstein aus Markdorf am Bodensee – heute der Weltmarktführer bei der Herstellung von Destillationsanlagen jeglicher Art. Die Technik der Brenngeräte und deren Design hatte sich seit 1985 sehr positiv verändert. Einhergehend mit dieser verbesserten Technik gelang es immer besser, das Fachwissen befreundeter Betriebe wie Weingüter, Mälzereien, Sämereien, Kräutermanufakturen, Imkern, international tätigen Küfereien sowie Bierbrauern und natürlich Obstbaubetrieben in mein Unternehmen zu integrieren.

Die Kombination modernster Verarbeitungstechnik bei der Destillation der Rohstoffe einerseits und reines Handwerk bei Ernte, Maischebereitung und Gärführung andererseits führte ab dem Jahre 2006 regelmäßig zu Bestplatzierungen bei der Edelbrandprämierung der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz.  Mittlerweile besaß Deutschland ein sehr eng gesponnenes Netz von gut bis hervorragend arbeitenden Destillen, und den lange Zeit unangefochten an der Spitze stehenden Österreichern bieten wir heute auf Augenhöhe Paroli.

2016 habe ich erneut die komplette Destillations- und Verarbeitungstechnik der Brennerei ausgewechselt. Die im Jahre 1997 aufgestellte Anlage verrichtet heute ihre Dienste beim sehr geschätzten Kollegen Gerhard Fritz auf dem Rimbacher Weiler Kreiswald.

Das jetzige Brenngerät besitzt umfangreiche Steuerungstechnik die es erlaubt, die Aufheizgeschwindigkeit der Rohstoffe, die Temperaturführung im Wasserbad (Motor einer Anlage) bis auf ein Zehntel Grad genau zu führen. Für ein harmonisches Erscheinungsbild der Destillate ist dies von entscheidender Bedeutung. Zudem ist das aktuelle Brenngerät mit allem technischen Schnick – Schnack ausgestattet, die der Gesetzgeber für Kleinbrenner Anlagen so zulässt. Mit einer Ausnahme: Die Vor- Mittel- und Nachlaufabscheidung überlasse ich nicht einem automatisch arbeitenden Trenngerät, sondern dies wird ausschließlich durch meine sensorische Urteilsfähigkeit bewerkstelligt.

Auch die Anschaffung eines neuen Schneckenelevators mit Rätzmühle und vorgeschaltetem Wasserbad für die Verarbeitung von Äpfeln, Birnen und Quitten wurde 2016 realisiert. 2017, in einem Jahr mit vollständigem Ernteausfall, konnte ich endlich dem dringenden Wunsch aus Teilen meiner Kundschaft nachkommen, und habe meinen destillierten Dry Gin entwickelt. Auch das Portfolio für Whiskys, sowohl was Single Malt, Rye oder Grain betrifft, wurde auf 7 Produkte aktuell erweitert.

Und schon stehen weitere Herausforderungen ins Haus. Getreu dem Motto „Stillstand ist Rückschritt“ soll künftig nach Vorstellung unserer Lehranstalten die Vor- Mittel- und Nachlaufabscheidung anhand einer Messung der elektronischen Leitfähigkeit der einzelnen Fraktionen erfolgen.  Die ersten Pilotanlagen sind bereits im industriellen Betrieb. Die Firma Alivion aus Zürich – im Jahre 2020 als Startup gegründet – hat das Unternehmensziel, mit Hilfe der sog. Nanotechnologie, elektronischen Geräten das quantitative und qualitative Riechen zu ermöglichen. Zunächst hat diese Firma einen Methanoldetector im Handyformat entwickelt, der viele zehntausend Euro teure Gaschromatographen (üblicherweise in Fachlabors installiert) ersetzt. Die Firma Anton Paar aus Österreich – Weltmarktführer auf den Gebieten der Dichte- und Konzentrationsmessungen, der Rheometrie und CO2 – Messung, hat ein Analysesystem erfunden, das den Alkoholgehalt in Weinen, Bieren, Spirituosen, Likören und in Sake ohne Beeinflussung sonstiger Probenbestandteile 10-mal schneller erfasst, als dies mit den bisherigen Methoden möglich ist. Technische Grundlage hierfür ist eine einzigartige, selektive Nahinfrarot – Absorptionsmethode.

Das soll aber jetzt erst mal genügen – ich könnte den Bogen technischer Neuerungen noch viel weiterspannen. Das bisher Beschriebene soll Ihnen lediglich verdeutlichen, wohin die Reise langfristig führen wird, auch in einem Gewerbe, das bisher von vielen Traditionen, von Mystik und vielerorts großer Handwerkskunst geprägt war.

Selbst vermarktende Kleinbrenner unterliegen europaweit der amtlichen Lebensmittelüberwachung, was so auch gut und richtig ist. Lebens- und Genussmittel müssen sicher sein. Selbst als Kleinstbetrieb können wir uns aktuell und künftig Fortschritten im analytisch – technologischen Bereich nicht entziehen. Ich selbst aber glaube fest daran, das der betriebliche Erfolg von Kleinbrennern wesentlich davon abhängen wird, inwieweit es gelingt, einen Spagat zwischen den Vorteilen einer traditionellen Herstellung und dem unaufhörlichen technologischen Fortschritt zu schaffen.

Liebersbach, im März 2024.